Krätzl, Helmut DIE KATHOLISCHE KIRCHE ERNEUERT IHR VERHÄLTNIS ZUM JUDENTUM

Auf einem Weg der kleinen aber zahlreichen Schritte entwickelte sich nach 1945 eine grundlegende Erneuerung der christlich-jüdischen Beziehungen. Richtungweisend für die Kirche war das Dekret „Nostra Aetate“ des 2. Vatikanischen Konzils.
Unter dem furchtbaren Eindruck des Holocausts haben Christen nach 1945 immer nachhaltiger über das so leidvolle Verhältnis zum Judentum nachgedacht. Offiziell hat die katholische Kirche ihre bisherige Haltung zum Judentum im Konzilsdokument „Nostra Aetate“ (Art. 4) korrigiert.

DIE KIRCHE KORRIGIERTE IHRE BISHERIGE HALTUNG
Nach Jahrhunderten unversöhnlicher Feindschaft betont das Konzil, daß die Kirche Christi die Anfänge ihres Glaubens schon bei den Patriarchen und Propheten findet. Aus dem jüdischen Volk stammen Christus dem Fleische nach, seine Mutter Maria, die Apostel und die meisten der ersten Jünger, die das Evangelium verkündet haben. Die Kirche anerkennt die bleibenden Privilegien Israels. Noch immer sind die Juden von Gott geliebt um der Väter willen. Gottes Gnadengaben und seine Berufung sind unwiderruflich. Obgleich jüdische Obrigkeiten auf den Tod Christi gedrungen haben, kann man dennoch die Ereignisse seines Leidens weder allen damals lebenden Juden ohne Unterschied, noch den heutigen Juden zur Last legen. Eingedenk all dessen verpflichtet sich die Kirche zu gegenseitiger Kenntnis und Achtung und verbietet, in Katechese oder Predigt etwas zu lehren, was mit dem Geiste Christi nicht im Einklang steht. Die Kirche verwirft alle Haßausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus, wo immer sie geschahen.
Nach dem Konzil geht die Kirche den eingeschlagenen Weg konsequent weiter. Das zeigen viele weitere Dokumente, vor allem die „Vatikanischen Richtlinien und Hinweise für die Durchführung der Konzilserklärung Nostra Aetate Nr. 4“ 1974 und die „Hinweise für eine richtige Darstellung von Juden und Judentum in der Predigt und in der Katechese der katholischen Kirche“ 1985. Schließlich erschien am 16. März 1998 von der Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum eine lange erwartete Erklärung unter dem Titel “Wir erinnern: eine Reflexion über die Shoah“, zu der der Papst selbst ein Vorwort geschrieben hat.
Von jüdischer Seite werden im “Katechismus der katholischen Kirche“ die erfreulichen Ansätze der neuen katholischen Sichtweise des Judentums hervorgehoben. Es werden aber jene Stellen kritisiert, in denen das Alte Testament vor allem auf Jesus Christus hin gesehen wird, weiters werden jene Teile kritisiert, wo „Gesetz“ und „Liebe“ so gegenübergestellt werden, daß daraus erneut Verachtung und Herabsetzung jüdischer Spiritualität erwachsen könnten.
ÜBER DAS KIRCHLICHE HINAUS BEDEUTEND
In Österreich haben eine Erklärung der Wiener Diözesansynode „Über die christlich-jüdische Begegnung“, 1971, und ein Text der Pastoralkommission Österreichs „Die Christen und das Judentum“, 1982, nachhaltige Wirkung gezeigt. Einen besonderen Schritt zur Aufarbeitung einer unrühmlichen Vergangenheit hat 1985 Bischof Stecher von Innsbruck gesetzt, als er in Judenstein den Kult des „Anderl von Rinn“ mit ausdrücklicher Berufung auf das Konzil verboten hat.
Fremdenhaß kann heute nur erfolgreich bekämpft werden, wenn auch der Antijudaismus, einer seiner Wurzeln, ausgerottet wird. Der jüdisch-christliche Dialog ist eine Reflexion über die eigene Identität der Kirche. Diese kann sich nur in der bleibenden Rückbindung an das Judentum verstehen. Im christlich-jüdischen Dialog lernen Christen über den Dreifaltigen Gott so zu reden, daß niemand sie des Tritheismus zeihen kann. Am Stehen zu den Juden wird sich die Konsequenz des Gebotes der Gottes- und der Nächstenliebe neu erweisen, übrigens ein Gebot, das uns beide verpflichtet.
DDr. Helmut Krätzl, Weihbischof in Wien, und in der Bischofskonferenz für den Dialog mit dem Judentum beauftragt.
 
ZUM WEITERLESEN:
• Klemens Richter (Hg.), Die katholische Kirche und das Judentum, Dokumente von 1945 bis 1981, Herder Verlag.
• Rolf Rendtorff, Hans Hermann Henrix, Die Kirchen und das Judentum, Dokumente von 1945 bis 1985, Paderborn 1988.

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