Jordan, Gerhard RABBINER JOSEPH SAMUEL BLOCH UND FLORIDSDORF

Am 8. Mai 2002 fand auf dem Hossplatz in Wien Floridsdorf die feierliche Benennung des dortigen Parks nach Dr. Joseph Samuel Bloch (1850-1923) statt. Bloch war Floridsdorfer Oberrabbiner in den 80er-Jahren des 19.Jahrhunderts. Im Folgenden wird versucht, die Bedeutung Blochs, auch für die heutige Zeit, darzustellen.
DIE JÜDISCHE GEMEINDE IN FLORIDSDORF
Um die Mitte des 19.Jahrhunderts waren die ersten Juden in die Gegend des heutigen 21. Bezirkes zugewandert, vor allem aus der Slowakei, später auch aus Mähren. Im Jahr 1877, als Joseph Samuel Bloch im nordböhmischen Brüx Rabbiner wird, leben auf heutigem Floridsdorfer Gebiet bereits 641 Juden, als Kaufleute, Händler, Fabrikanten, Rechtsanwälte, und Ärzte. Soeben ist ein Grundstück gekauft worden, auf dem der noch heute bestehende jüdische Friedhof an der Ruthnergasse angelegt wird, die Synagoge an der heutigen Freytaggasse am Eck zur Holzmeistergasse ist gerade fertiggestellt worden, und der schon seit 15 Jahren behördlich anerkannte Minjan-Verein bereitet die Gründung der Kultusgemeinde vor.
Drei Jahre später, 1880, ist die Floridsdorfer Kultusgemeinde anerkannt und schreibt zum ersten Mal den Rabbinerposten aus, mit dem schließlich Joseph Samuel Bloch betraut wird. Seine Frau Laura begründet im gleichen Jahr den Israelitischen Frauen-Wohltätigkeitsverein, der die ärmeren Gemeindemitglieder sozial unterstützt.
Bloch wird der erste von insgesamt drei Rabbinern der Floridsdorfer jüdischen Gemeinde. Es sollten ihm noch Heinrich L. Reich sowie, von 1897-1938, Dr. Moritz Rosenmann folgen.
WER WAR JOSEPH SAMUEL BLOCH?
Josef Samuel Bloch wurde am 20. November 1850 in Dukla, einem jüdischen Dorf in Galizien, geboren. Seine Eltern betrieben eine Bäckerei. Seit dem dritten Lebensjahr besuchte er die Cheder (jüdische Privatschule), mit sechs Jahren lernte er bei einem Talmud-Lehrer (Melamed). Nach dem Auszug aus dem elterlichen Haus nach der Bar-Mizwa-Feier wanderte er durch verschiedene galizische Städte, z.B. Sombor, Lemberg, Stanislau, Czortkow und Krakau. 1867 ging er nach Eisenstadt zu Rabbi Dr. Esriel Hildesheimer, dem Leiter der berühmten orthodoxen Rabbinerschule, um Unterricht auch in “profanen“ Gegenständen zu nehmen. Danach bereiste er Städte im deutschsprachigen Raum und nahm Unterricht bei Rabbinern, so in Magdeburg, Güstrow und Zürich. Er begann ein Universitätsstudium in München und verfasste erste wissenschaftliche Publikationen, z.B. über die Geschichte der Juden in Spanien und die Geschichte der Sammlung der althebräischen Literatur. 1875 promovierte er zum Dr.phil., nach kurzer Tätigkeit als Prediger in Güstrow und als Rabbiner in Kobylin (Provinz Posen) wurde er am 1. August 1877 Rabbiner und Prediger in Brüx (Nordböhmen, heute Most).
1880 wurde er als Oberrabbiner nach Floridsdorf berufen, daneben hatte er zwei Jahre lang einen Lehrauftrag im Wiener Beth-Ha-Midrasch. In die Zeit seiner Tätigkeit in Floridsdorf fällt sein Auftreten gegen den antisemitischen Universitätsprofessor August Rohling, den er ab 1882 öffentlich angreift. Ab 1884 gab Bloch die “Oesterreichische Wochenschrift“ heraus, die sich der Bekämpfung des Antisemitismus widmete. Durch seine publizistische Tätigkeit und als Reichsratsabgeordneter zeitlich sehr in Anspruch genommen, legte Bloch schließlich sein Oberrabbineramt in Floridsdorf zurück.
Als am 25. März 1883 durch den Tod des bisherigen Abgeordneten das Mandat des Wahlkreises Kolomea-Buczacz-Sniatyn frei wurde, bildete sich dort ein Komitee, das sich für eine Kandidatur von Bloch einsetzte. Der Wahlkreis lag im Osten Galiziens (heute Westukraine) und hatte einen hohen jüdischen Bevölkerungsanteil. Bloch wurde gewählt und in den Jahren 1885 und 1891 wiedergewählt. Er setzte sich im Österreichischen Reichsrat redegewandt für jüdische Anliegen ein und unterstützte die konservative und slawenfreundliche Regierung des Grafen Eduard von Taaffe (Ministerpräsident von 1879-1893). Dass Bloch dem Polenklub beitrat, trug ihm die Gegnerschaft eines großen Teils der deutsch-liberalen Wiener Juden ein.
Im Reichsrat thematisierte er die Entführung und Zwangstaufe jüdischer Kinder in Galizien, klärte über den Inhalt des Talmud auf, verteidigte jüdische Ärzte gegen die Angriffe der Antisemiten und sprach sich gegen den Nationalitätenkampf aus. 1893 gelang Bloch ein weiterer Erfolg gegen den Antisemitismus, als auf sein Betreiben der Weinhauser Pfarrer Josef Deckert, der Legenden über angebliche jüdische Ritualmorde als Tatsachen hinstellte, wegen Verleumdung verurteilt wurde.
Als der Einfluss der Antisemiten im Polenklub stärker wurde, musste Bloch sein Mandat 1895 zurücklegen. Von einer erneuten Kandidatur in einem Leopoldstädter Wahlkreis im Jahr 1907 nahm er Abstand, um die jüdischen Stimmen nicht zu zersplittern. Wenige Jahre vor seinem Tod unternahm Bloch Vortragsreisen in die USA und besuchte auch Palästina. Seine “Oesterreichische Wochenschrift“ gab er bis 1920 heraus. Am 1.Oktober 1923 starb er und wurde in der Neuen Israelitischen Abteilung des Wiener Zentralfriedhofs beerdigt.
BLOCHS WIRKEN IN FLORIDSDORF
Zu Beginn der 1880er-Jahre war Floridsdorf, das erst 1904/ 05 zu Wien kam, noch eine niederösterreichische Gemeinde. Sie war kleiner als ihre damals noch eigenständige Nachbargemeinde Neu-Leopoldau und Mühlschüttel (später in Donaufeld umbenannt), welche rund 6.000 Einwohnerinnen und Einwohner hatte, Tendenz stark steigend. Der Grund für das Bevölkerungswachstum war die Tatsache, dass vor allem seit der Donauregulierung 1875 rund um die Nordbahn zahlreiche Industriebetriebe entstanden waren, was den Zuzug von Arbeitern zur Folge hatte.
Zur Zeit Blochs lebten Arbeiterfamilien unter Verhältnissen, die heute kaum mehr vorstellbar sind, soziale Errungenschaften gab es so gut wie keine. Ein Teil der Arbeiterbewegung radikalisierte sich, vor allem in Floridsdorf und Umgebung waren Sozialrevolutionäre aktiv. Zwei Attentate auf Polizeibeamte waren die Folge: Am 15. Dezember 1883 wurde Franz Hlubek, zuständig für die Überwachung von Sozialisten, im Bereich der Brünner Strasse (etwa auf der Höhe des heutigen Eissalons “Pisani“) erschossen, am 25. Jänner 1884 der Agent Ferdinand Blöch nahe des Mühlschüttels (ungefähr in der Gegend des heutigen Paul-Speiser-Hofs).
Dies führte zur Verhängung des Ausnahmezustands über Floridsdorf und Umgebung und andere Teile Niederösterreichs im Jänner 1884. Im Sommer 1884 wurden die beiden Anarchisten Anton Kammerer (ein Floridsdorfer) und Hermann Stellmacher hingerichtet.
VORTRAG VOR ARBEITERN
In diesen Jahren erstarkte der Antisemitismus und trat in vielerlei Gestalt auf. Auch bei den Arbeitern wurde gegen die sogenannten “jüdischen Ausbeuter“ Stimmung gemacht, da ein großer Teil der damaligen Fabriksbesitzer jüdischer Herkunft war. Joseph Samuel Bloch wirkte dem entgegen. Am 12. August 1882 hielt der Rabbiner vor Floridsdorfer Arbeitern im großen Saal der Lokomotivfabrik an der Brünner Strasse einen Vortrag zum Thema “Der Arbeiter zur Zeit Jesu“. Er legte darin dar, dass es in der Antike zwar bei Griechen und Römern, nicht aber in Palästina Sklaverei gegeben habe, dass dort die Arbeit hoch geschätzt wurde, dass unter jüdischen Gelehrten zahlreiche Arbeiter zu finden waren und dass auch der eine arbeitsfreie Wochentag auf ein jüdisches Erbe zurückgehe. Er schloss seinen Vortrag mit folgenden Worten:
“Meine Herren! Habe ich nach all dem recht oder unrecht, wenn ich sage, dass unsere bürgerliche Gesellschaft, die bei allen ihren Aposteln der Humanität und der Völkerverbrüderung das Schauspiel des grimmigsten Rassenhasses, der grausamsten Völkerkriege nicht los wird, bei allen erstaunlichen Fortschritten in der industriellen Entwicklung, ihren wunderbaren Maschinen, elektrischen Drähten, geflügelten Schiffen und Feuerwagen ohnmächtig ist, der unglücklichen Lage, der zunehmenden Verarmung der arbeitenden Bevölkerung, welche Trägerin ist aller Industrie, abzuhelfen, leider viel zu viel von den eroberungslüsternen Römern, den kunstschwelgerischen Griechen, viel zu wenig von den nüchternen arbeitenden Palästinensern gelernt hat? Nein, nicht der Kampf g e g e n den Semitismus, sondern der f ü r ihn würde von den wohltätigsten Folgen sein für die arbeitende Bevölkerung, für das Heil des Staates.“
Dieser Vortrag Blochs wurde begeistert aufgenommen. Schon wenige Wochen später wiederholte er ihn bei Wiener Arbeitern, und er wurde vielfach nachgedruckt. Adolf Fischhof (1816-1899), der große Denker und ehemalige 1848er-Revolutionär, wurde durch eine Broschüre auf Bloch aufmerksam, nahm mit ihm Kontakt auf und beeinflusste in der Folge Blochs Positionen in der Nationalitätenfrage. Obwohl Bloch bald vom Polizeipräsidium “empfohlen“ wurde, keine Vorträge in Arbeiterkreisen mehr zu halten, fand sein Inhalt in der Arbeiterpresse noch jahrelang Verbreitung und trug dazu bei, die Arbeiterbewegung gegen den Antisemitismus weitgehend zu immunisieren.
Das katholische “Gegenüber“ Blochs, der ebenfalls für die Arbeiterschaft offen war und später auch Reichsratsabgeordneter wurde, war Rudolf Eichhorn (1853-1924), der von 1881-1887 Seelsorger und danach bis 1889 Pfarrer an der Kirche St. Jakob in Floridsdorf war.
AUSEINANDERSETZUNGEN
In den frühen 1880er-Jahren fanden auch die sogenannten “Ritualmordlegenden“ Verbreitung in der antisemitischen Hetzpropaganda. Der damals in Prag tätige Universitätsprofessor August Rohling spielt hier eine besonders berüchtigte Rolle. Als er sich wiederholt dafür hergab, an Eides Statt zu bezeugen, dass der Talmud Juden aus religiösen Gründen zur Bekämpfung und Schädigung von Christen auffordere, stellte sich ihm Bloch, als damals 32jähriger Floridsdorfer Rabbiner, publizistisch entgegen, klagte ihn des angebotenen Meineids an und widerlegte seine Beschuldigungen Punkt für Punkt mit fundierter Sachkenntnis. Rohling musste im Oktober 1885 eine Klage gegen Bloch zurückziehen, da er den Wahrheitsbeweis für seine Behauptungen nicht erbringen konnte. Bloch wurde so mit einem Schlag zum jüdischen “Nationalhelden“, weit über die Grenzen der Monarchie hinaus.
BLOCHS BEDEUTUNG HEUTE
Zukunftsweisend war vor allem Blochs Einstellung in der Nationalitätenfrage: Er trat für einen Nationen übergreifenden Österreich-Patriotismus ein und kritisierte nationale Engstirnigkeit und Intoleranz. In einem Artikel in der “Oesterreichischen Wochenschrift“ schrieb er am 8. Jänner 1886:
“Allein die österreichische Idee ist nun einmal mit der nationalen Unduldsamkeit unvereinbar. Der Staat, der nicht national ist, sondern in der Gleichberechtigung aller Staatsbürger sein Heil sieht, der nicht deutsch und nicht slavisch, nicht katholisch und nicht protestantisch ist, der kann und darf nicht deutschfeindlich sein, er muß jedem Volksstamme die positive Bethätigung und die geistige und culturelle Entwickelung der Nationalität gewährleisten; er hat gleichsam den Kosmopolitismus zu seiner Grundlage und bildet die höhere Synthese zwischen Nationalität und Weltbürgertum. (... ) Sobald aber wir Juden an diesen nationalen Prügeleien theilnehmen, bleiben uns regelmäßig die meisten blauen Flecke zum Gaudium – beider streitender Parteien. Wir müssen deswegen trachten, das Feuer des Zwistes zu löschen, nicht zu schüren, die Gegensätze zu mildern, abzustumpfen, nicht zuzuspitzen und zu verschärfen. An der Spitze der „Unversöhnlichen“ dürfen wir nicht marschiren. Unser Schlachtruf gilt also nicht „gegen die Deutschen“, nicht „gegen die Slaven“, sondern – für Oesterreich, das ganze, gemeinsame Vaterland.“
Bloch schwebte ein gleichberechtigtes und friedliches Mit- und Nebeneinander der Völker vor. Mit seiner lebenslang praktizierten Toleranz und seinen Gedanken, die der damaligen Zeit um Jahrzehnte voraus waren, ist Bloch auch heute noch, angesichts einer sich erweiternden Europäischen Union, für uns aktuell.
 

Der Autor war von 1987-2001 Bezirksrat der Grünen in Floridsdorf und hat als solcher 1993 die Benennung einer Verkehrsfläche im Bezirk nach Joseph Samuel Bloch beantragt.

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