Bodendorfer, Gerhard GEDANKEN IN DER KARWOCHE

GRÜNDONNERSTAG
Die Erzählung von Jesus auf dem Ölberg, an die uns jeder Gründonnerstag erinnert, beschreibt nicht nur das urmenschliche Verhältnis Jesu zum Leid, sein Seufzen und Klagen vor Gott, seine Einsamkeit, sie schildert auch seine ihn umgebenden Menschen in Verhaltensweisen angesichts einer Krise. Da sind die wieder einmal versagenden Jünger, die schlafen, anstatt zu wachen und Jesus damit im Leid zu stärken. Da ist Petrus, der Jesus alles verspricht und ihn schließlich verleugnen wird. Und da ist Judas, der Jesus an die Obrigkeit verrät. Petrus, den Jesus einmal sogar als Satan bezeichnet hatte, reagiert auch noch in der Gewaltbereitschaft falsch, als er einem Römer das Ohr abschlägt.
Trotzdem hat ihm die christliche Tradition als ersten Papst und Vorbild der Christenheit einen Ehrenplatz verliehen. Judas hingegen wurde zum Inbegriff des geldgierigen Verräters und prägte das Klischee des Juden schlechthin. Und dieses provozierte Pogrome und Ausschreitungen gegen Juden vor allem in der Karwoche. Noch im 19. und 20. Jahrhundert wurden in vielen Gegenden Deutschlands Strohpuppen am Osterfeuer verbrannt, die den verräterischen Judas darstellen sollten. Sie wurden aber auch als „ewiger Jude“ bezeichnet, um auf die Vertreibung der Juden und ihre ewige Wanderschaft auf Erden als Folge des ihnen zugeschriebenen Gottesmordes zu erinnern. Noch in meiner Jugend nannte man einen schlechten geldgierigen Menschen schlicht und einfach „Judas". Zwar existieren tolle literarische Versuche etwa eines Schalom Asch oder Stefan Heym, die Figur des Judas gerade als Jesus besonders zugetanem und gebildet-kritischen Gefolgsmann zu rehabilitieren, doch haben sie das grundsätzlich negative Bild des Judas nur in intellektuellen Kreisen aufgeweicht. Das Klischeebild des Juden als Verräter, der mit unsauberen Machenschaften sein Geld verdient, bleibt bis heute bestehen und beflügelt noch so manche Büttenrede. Der Gründonnerstag sollte uns daher auch dazu bewegen, unsere Bilder und Vorurteile und unsere Sprache zu hinterfragen. Und wir Christen sollten nicht vergessen, uns selbst auch in den schlafenden Jüngern wieder zu finden und unser Versagen und unsere Sorglosigkeit angesichts des Leids anderer überdenken.

KARFREITAG
Am Karfreitag gedenken die Kirchen des Leidens und Sterbens Jesu. Die Theologie lehrte beständig, dass er in diesem Sterben die Verfehlungen der ganzen Menschheit auf sich nahm, und jeder einzelne Christ sollte den Tod Jesu mit seinem eigenen Fehlverhalten in Beziehung setzen. Trotz dieses Verständnisses hat gerade der Karfreitag und seine liturgische Feier im Laufe der Geschichte vor allem antijüdische Emotionen und Schuldzuweisungen freigesetzt. Während der Kreuzverehrung singt man noch heute vom Volk, für das Jesus als Gott alles getan habe, das ihn aber letztlich „mit dem Speer durchbohrt habe". Dieses Volk ist Israel und über die Jahrhunderte nährte sich in der Christenheit der Vorwurf, dass Jesus von den Juden ermordet worden wäre, ein Vorwurf, der vielen Juden Leid brachte und oft das Leben kostete. Es dauerte bis zum zweiten vatikanischen Konzil, ehe der Gottesmordvorwurf in der kath. Kirche ausgeräumt wurde. Seither beten wir auch nicht mehr für die „verblendeten und treulosen“ Juden. Johannes XXIII. schuf dieses Gebet ab. In den letzten Jahren mehrten sich die Versuche, nicht zuletzt angeregt durch Organisationen wie den Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit, in den Bereich des Gottesdienstes auch ein Bekenntnis zum Verschulden einzufügen, das durch Christen Juden angetan wurde. Bischof Laun hatte im Vorjahr im Salzburger Dom ein solches viel beachtetes Bekenntnis abgelegt. Die amerikanische. Biko stellt einen Text den Passionslesungen am Karfreitag voran, der den Predigern die richtige Einstellung gegen den Antijudaismus nahe bringen soll. Erklärungen zum Johannesevangelium und zur Passionsmusik von Bach sind erschienen, um traditionell antijüdischen Stereotypen und möglichen Missverständnissen entgegen zu treten. Johannes dem XXIII. wurde ein Gebet zugeschrieben, aus dem ich zum Abschluss einen kleinen Teil zitiere: Wir sind uns heute bewusst, dass viele Jahrhunderte der Blindheit uns die Augen verhüllt haben, so dass wir die Schönheit deines auserwählten Volkes nicht mehr zu sehen und in ihren Gesichtern die Züge unserer bevorzugten Brüder nicht mehr zu erkennen vermögen. Wir verstehen, dass uns ein Kainsmal auf die Stirn geschrieben steht. Im Lauf der Jahrhunderte hat unser Bruder Abel in dem Blut gelegen, das wir vergossen, oder er hat Tränen geweint, die wir verursacht haben, weil wir deine Liebe vergaßen. Vergib uns den Fluch, den wir zu unrecht an ihren Namen Jude hefteten. Vergib uns, dass wir dich in ihrem Fleisch zum zweiten Mal ans Kreuz schlugen. Denn wir wussten nicht, was wir taten.

KARSAMSTAG
Vor vielen Jahren hörte ich ein Interview mit Leonard Bernstein, in dem dieser behauptete, Gustav Mahler sei in seiner 2. Symphonie, der Auferstehungssymphonie, ganz vom Christentum beeinflusst gewesen, denn im Judentum kenne man keine Auferstehung. Ich habe mich damals sehr über den Juden Bernstein gewundert, da er sich offensichtlich nicht in der jüdischen Glaubenswelt auskannte. Denn schon vor Jesus war es für einen großen Teil des Judentums selbstverständlich, an eine Auferstehung der Toten am Ende der Tage zu glauben. Und das 18-Bitten-Gebet, das wichtigste Gebete der jüdischen Alltagsliturgie, enthält heute folgende Sätze: „Du bist mächtig in Ewigkeit, Herr, belebst die Toten, du bist stark zum Helfen. Der den Tau herablässt. Du ernährst die Lebenden mit Gnade, belebst die Toten in großem Erbarmen, stützt die Fallenden, heilst die Kranken, befreist die Gefesselten und hältst die Treue denen, die im Staube schlafen.“ Für Juden gehört genauso wie für Christen die Vorstellung einer Auferstehung der Toten also zum Bestand ihres Glaubens. Der Apostel Paulus sagte: „Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer und eurer Glaube sinnlos". Und etwas später meint er: „Wenn Tote nicht auferweckt werden, dann lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot". Erst das Wissen um die Auferstehung ließ für Paulus den Schluss zu, dass Gott in Jesus wirklich gehandelt hatte, dass er unsere Verschuldung weggenommen hatte. Erst die Gewissheit eines Lebens über den Tod hinaus gibt Kraft für die verantwortungsvolle Gestaltung des eigenen Lebens. Das leere Grab Jesu hat diese Hoffnung für uns Christen zur Gewissheit gemacht. Juden und Christen haben mit dem Glauben an die Auferstehung auch immer die Gewissheit einer personalen Weiterexistenz verbunden. Das Tun des Menschen geht nicht ins Leere. Sein Schaffen, sein Mühen hat Sinn über den Tod hinaus. Er ist auch jenseits seiner irdisch körperlichen Existenz unverwechselbarer und einmaliger Mensch, und nur darum kann und muss er einmal auch Rechenschaft über dieses Leben ablegen, für das er Verantwortung trägt.

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