Himmelbauer, Markus RETTET DEN EXODUS
22/02/01 Praxis
Wie günstig, daß Ostern und Pessach heuer auf denselben Termin fielen. Viele Anfragen von christlichen Gruppen und Gemeinden gingen hierorts in jener Zeit ein: Wie können wir Pessach feiern, „richtig“, nämlich genau so wie die Juden es machen? Überraschtes Erstaunen folgte, wenn ich nicht sogleich Feuer und Flamme für dieses Anliegen war. Die Diskussion darüber geht jedenfalls weiter.
Wenn Christinnen und Christen die Juden und das Judentum lieben, sollen die Geliebten bisweilen möglichst so sein, wie wir sie uns wünschen: Folkloristisch, nett, unproblematisch, keinesfalls fordernd. Ja, das kommt gut an. Da spürt man dann kuschelweich, wie über aller Verbrüderung die Gräben schwinden. Und anschaulich soll es sein, sinnlich erfahrbar.
Wenn Christinnen und Christen die Juden und das Judentum lieben, sollen die Geliebten bisweilen möglichst so sein, wie wir sie uns wünschen: Folkloristisch, nett, unproblematisch, keinesfalls fordernd. Ja, das kommt gut an. Da spürt man dann kuschelweich, wie über aller Verbrüderung die Gräben schwinden. Und anschaulich soll es sein, sinnlich erfahrbar.
Da könnte man doch einen Impuls aufgreifen und weiterspinnen, den eine Initiative im burgenländischen Schlaining gesetzt hat: Anläßlich der Eröffnung einer Ausstellung über „Hexen und Rechtsprechung im Mittelalter“ in diesem Frühjahr wurde dort zu einer „Hexenverbrennung“ eingeladen. Auch eine Methode, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Vielleicht sollte Kardinal Schönborn im Rahmenprogramm der Enthüllung der Gedenktafel auf dem Wiener Judenplatz das p.t. Publikum zu einem „Judenpogrom“ bitten? Anlässe für ähnlich aktionistische Events bietet dieses Jahr ja genug: 60 Jahre nach der Errichtung des KZ Mauthausen oder im Gedenkjahr an die Pogromnacht vom November 1938.
Mich ekelt bei diesem Gedanken. Doch abseits der Folklore bleibt die ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Judentum ein harziges Feld.
Bleiben wir bei Pessach. Die Befreiung der Israelitinnen und Israeliten aus ägyptischer Unterdrückung ist zentraler Inhalt des Festes. Der Bericht über diese Heilstat Gottes im 2. Buch Mose, im Buch Exodus, ist auch Bestandteil der christlichen Osterliturgie. Unter den 12 Lesungen, die im katholischen Meßbuch vorgesehen sind, kann man wählen, doch diese eine ist verpflichtend vorgesehen. Trotzdem fand der Durchzug durch das Rote Meer auch heuer wieder nur mit Mühe Platz im Gottesdienst meiner Gemeinde. Eine Gruppe im Pfarrgemeinderat setzte sich vehement für die Streichung dieser Lesung ein: Unverständlich, grausam, nationalistisch, unausgewogen, so die Meinungen dazu. Und Oberhaupt, was ist mit den Ägyptern?
Wer an einem Seder teilnimmt, wird feststellen, daß die Freude über die Befreiung aus Ägypten nicht ungetrübt ist. Wein wird vergossen, um an den Schatten zu erinnern, der aufgrund des Schicksals der getöteten Ägypter über dem Ereignis liegt. Mit theologischen Hintergrundinformationen versorgt, konnte der Pfarrgemeinderat dann doch umgestimmt werden, die Exodusgeschichte auch diesmal zu Ostern vorzulesen. Betroffen durch die offene Unkenntnis der Zusammenhänge, erbot sich der Kaplan, bald nach Ostern darüber zu predigen. Aber, für uns Christinnen und Christen ist es ja doch nur ein Randbereich, oder?
Ebenfalls auf der christlichen Liste zu streichender Texte stehen einige Psalmen. Priester, Ordensleute und auch Laien in der katholischen Kirche beten im Stundengebet den Psalter im Vierwochenzyklus. Den ganzen Psalter? Nein. Einige Verse fehlen. Weil sie grausam sind oder weil sie nicht in das christliche Bild von netter Spiritualität passen: die Fluchpsalmen. Psalm 56 wurde bearbeitet, im Psalm 59 fehlen einige Zeilen, ebenso wie in den Psalmen 63, 69 oder 79.
Der Herr hat sein Volk aus Ägypten befreit. Dessen Überlieferungen gegen christliche Zensurversuche in Schutz zu nehmen, scheint etwas schwieriger zu sein. Ob Exodus oder die Psalmen: In beiden Fällen wird für mich ein doppeltes Phänomen deutlich: Einerseits fehlt das Interesse, sich vertieft mit dem ganzen Judentum und somit mit den ganzen Wurzeln des eigenen Glaubens zu beschäftigen. Andererseits maßen wir uns an, aus einer satten europäischen Position zu beurteilen, welche religiöse Ausdrucksform für Sklavinnen und Sklaven gut ist und welche nicht.
Von der Befreiungstheologie können wir lernen, daß die Welt jeweils anders aussieht, ob wir sie als Magd, Knecht oder als Herr erleben. In der Bibel lesen wir, wie Unterdrücker, Gottlose und Zyniker von Machtlosen als letztes Mittel der Gegenwehr verflucht werden. Wir hören, wie Sklaven befreit werden und daß Sklavenhalter untergehen. Die Bibel überliefert uns Lebensschicksale und Sichtweisen unterjochter Menschen, wie auch das kleine Volk Israel oft unfrei war als Spielball der Mächtigen ringsum. In gesicherter Position steht es uns nicht zu, den Unterdrückten Zensuren und Lehren zu erteilen, wie ausgewogen, wie gewaltlos und mit welch feiner Wortwahl sie (womöglich ehrerbietig) gegenüber den Herren auftreten sollen.
So sind diese Stellen nicht nur Anlaß, den christlichen Umgang mit den Wurzeln des eigenen Glaubens zu überdenken. Wenn uns diese Texte stören, so richten sie an uns auch die Anfrage, ob wir es uns mit unserem Glauben, mit unserer Sicht der Welt nicht doch zu bequem an der Seite der Mächtigen eingerichtet haben. Wie ernst nehmen wir, daß Befreiung und Gerechtigkeit auch wirklich in dieser Welt sichtbar werden, und welche Ohren haben wir, den Schrei der Bedrängten zu hören?
Mich ekelt bei diesem Gedanken. Doch abseits der Folklore bleibt die ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Judentum ein harziges Feld.
Bleiben wir bei Pessach. Die Befreiung der Israelitinnen und Israeliten aus ägyptischer Unterdrückung ist zentraler Inhalt des Festes. Der Bericht über diese Heilstat Gottes im 2. Buch Mose, im Buch Exodus, ist auch Bestandteil der christlichen Osterliturgie. Unter den 12 Lesungen, die im katholischen Meßbuch vorgesehen sind, kann man wählen, doch diese eine ist verpflichtend vorgesehen. Trotzdem fand der Durchzug durch das Rote Meer auch heuer wieder nur mit Mühe Platz im Gottesdienst meiner Gemeinde. Eine Gruppe im Pfarrgemeinderat setzte sich vehement für die Streichung dieser Lesung ein: Unverständlich, grausam, nationalistisch, unausgewogen, so die Meinungen dazu. Und Oberhaupt, was ist mit den Ägyptern?
Wer an einem Seder teilnimmt, wird feststellen, daß die Freude über die Befreiung aus Ägypten nicht ungetrübt ist. Wein wird vergossen, um an den Schatten zu erinnern, der aufgrund des Schicksals der getöteten Ägypter über dem Ereignis liegt. Mit theologischen Hintergrundinformationen versorgt, konnte der Pfarrgemeinderat dann doch umgestimmt werden, die Exodusgeschichte auch diesmal zu Ostern vorzulesen. Betroffen durch die offene Unkenntnis der Zusammenhänge, erbot sich der Kaplan, bald nach Ostern darüber zu predigen. Aber, für uns Christinnen und Christen ist es ja doch nur ein Randbereich, oder?
Ebenfalls auf der christlichen Liste zu streichender Texte stehen einige Psalmen. Priester, Ordensleute und auch Laien in der katholischen Kirche beten im Stundengebet den Psalter im Vierwochenzyklus. Den ganzen Psalter? Nein. Einige Verse fehlen. Weil sie grausam sind oder weil sie nicht in das christliche Bild von netter Spiritualität passen: die Fluchpsalmen. Psalm 56 wurde bearbeitet, im Psalm 59 fehlen einige Zeilen, ebenso wie in den Psalmen 63, 69 oder 79.
Der Herr hat sein Volk aus Ägypten befreit. Dessen Überlieferungen gegen christliche Zensurversuche in Schutz zu nehmen, scheint etwas schwieriger zu sein. Ob Exodus oder die Psalmen: In beiden Fällen wird für mich ein doppeltes Phänomen deutlich: Einerseits fehlt das Interesse, sich vertieft mit dem ganzen Judentum und somit mit den ganzen Wurzeln des eigenen Glaubens zu beschäftigen. Andererseits maßen wir uns an, aus einer satten europäischen Position zu beurteilen, welche religiöse Ausdrucksform für Sklavinnen und Sklaven gut ist und welche nicht.
Von der Befreiungstheologie können wir lernen, daß die Welt jeweils anders aussieht, ob wir sie als Magd, Knecht oder als Herr erleben. In der Bibel lesen wir, wie Unterdrücker, Gottlose und Zyniker von Machtlosen als letztes Mittel der Gegenwehr verflucht werden. Wir hören, wie Sklaven befreit werden und daß Sklavenhalter untergehen. Die Bibel überliefert uns Lebensschicksale und Sichtweisen unterjochter Menschen, wie auch das kleine Volk Israel oft unfrei war als Spielball der Mächtigen ringsum. In gesicherter Position steht es uns nicht zu, den Unterdrückten Zensuren und Lehren zu erteilen, wie ausgewogen, wie gewaltlos und mit welch feiner Wortwahl sie (womöglich ehrerbietig) gegenüber den Herren auftreten sollen.
So sind diese Stellen nicht nur Anlaß, den christlichen Umgang mit den Wurzeln des eigenen Glaubens zu überdenken. Wenn uns diese Texte stören, so richten sie an uns auch die Anfrage, ob wir es uns mit unserem Glauben, mit unserer Sicht der Welt nicht doch zu bequem an der Seite der Mächtigen eingerichtet haben. Wie ernst nehmen wir, daß Befreiung und Gerechtigkeit auch wirklich in dieser Welt sichtbar werden, und welche Ohren haben wir, den Schrei der Bedrängten zu hören?