OTHMAR GÖHRING (1938-2013)

goehring
Graz. Am 5. Mai – wenige Tage vor seinem 75. Geburtstag – verstarb Othmar Göhring nach langem schwerem Leiden.

Othmar Göhring wurde am 9. Mai 1938 in Neu-Verbas (heute Vrbas/Serbien), einem ehemals deutsch-protestantischen Siedlungsgebiet, geboren. Dort leitete sein Vater, Pfarrer Gotthold Göhring, ein Diakonissenheim für Waisen und alte Menschen, seine Mutter war Volksschullehrerin. 1944 musste die Familie ihren Heimatort verlassen und kam nach mehreren Stationen als Flüchtlinge über Ungarn, Wien und Dresden schließlich wieder nach Wien. Hier maturierte Othmar Göhring 1956 am Humanistischen Gymnasium zusammen mit Johannes Dantine, mit dem ihn eine tiefe Freundschaft verband. Er studierte zunächst Physik, dann evangelische Theologie in Wien und Basel. Seine ihn prägenden Lehrer sind Karl Barth und Wilhelm Dantine. Weitere Stationen: 1967 Ordination ins Pfarramt der Evangelischen Kirche. 1967-70 Pfarrer in Knittelfeld. 1970-1975 Pfarrer in Wien-Ottakring und dann schließlich von 1975 bis 2000 amtsführender Pfarrer der Evangelischen Pfarrgemeinde Heilandskirche in Graz. Von 1983 bis 1992 war er Senior der Diözese.
Othmar Göhring griff die Tradition des diskursfreudigen, urbanen, weltoffenen und gebildeten Protestantismus auf – und führte damit die Gemeinde in Graz auf ganz neue Wege. In den legendär gewordenen „Evangelischen Akademien" wurden aktuelle gesellschaftspolitische und weltanschauliche Themen pointiert und oft auch äußerst kontrovers diskutiert. Besonders die schonungslose Aufarbeitung der Verstrickung der Kirche in die NS-Ideologie war ihm ein großes Anliegen. Durch seine regelmäßigen Kolumnen in der Kleinen Zeitung (1975-2002) war er auch einer breiten Öffentlichkeit bekannt.
Im christlich-jüdischen Dialog war Othmar Göhring äußerst engagiert und einer der tragenden Säulen dieser von evangelisch und katholischer Seite gemeinsam getragenen Arbeit. So machte Othmar Göhring z.B. deutlich, dass der Dialog der Christen mit dem Judentum, in dem sie wurzeln, grundsätzlich zu unterscheiden ist von einem Dialog mit anderen Religionen. Diese Einsicht hat auch in das Dokument „Zeit zur Umkehr" Eingang gefunden. An der Vorbereitung zu diesem bis heute wegweisenden Dokument, das 1998 von der Generalsynode der Evangelischen Kirchen verabschiedet wurde, hat Othmar Göhring einen wichtigen Anteil.
Die über die Grenzen der Steiermark und sogar über Österreichs Grenzen hinaus strahlende christlich-jüdische Bibelwoche wurde von evangelischer Seite entscheidend von ihm und der bis heute unvergessenen evangelischen Theologin Evi Krobath verantwortet und geprägt. Die seit 1982 stattfindenden Bibelwochen hatten eine hohe Qualität und stießen auf großes Interesse. Die Teilnehmenden kamen nicht nur aus Österreich, sondern auch aus Deutschland, Ungarn und der Slowakei. Die von christlicher Seite selbstverständlich praktizierte evangelisch-katholische Zusammenarbeit war eines der besonderen Merkmale dieser Bibelwochen und steht damit auch für das ökumenische Engagement Othmar Göhring.
Der Schuldgeschichte der evangelischen Kirche und ihrer Mitglieder in der Zeit des Nationalsozialismus stellte er sich und thematisierte immer wieder diese Frage. Daher war ihm auch eine Feier im Gedenkjahr 1988, die an die Zerstörung der Grazer Synagoge 1938 erinnerte, sehr wichtig. Sie war auch ein Ausdruck seines Grundanliegens: Wenn man auch kein Unrecht ungeschehen oder wiedergutmachen kann, so sind wir doch verpflichtet, den Menschen, die ermordet wurden, im Gedenken ihre Würde zurück zu geben. Nicht unerwähnt bleiben soll an dieser Stelle auch seine Mitwirkung im Komitee für die Wiedererrichtung der Synagoge im Jahr 2000. Von den Mitgliedern der jüdischen Gemeinde in Graz wurden sein Engagement und seine Vermittlung mit Wertschätzung bedacht und man nahm ihm ab, dass ihm der Dialog zwischen Christen und Juden ein aufrichtiges Anliegen war.
Auch auf internationaler Ebene brachte er sich in den christlich-jüdische Dialog ein und so war er jahrelang als österreichischer Delegierter in der Lutherischen Europäischen Kommission Kirche und Judentum tätig.
Das Grazer Komitee für christlich-jüdische Zusammenarbeit, in dem er von Anfang an eine gewichtige Stimme hatte und an dessen Wirken er bis zum Schluss Interesse zeigte, kann auf seinem geistigen Fundament auch heute noch aufbauen. Wir blicken auf das vielfältige Engagement Othmar Göhrings im christlich-jüdischen Dialog mit Dankbarkeit zurück.
Mit Othmar Göhring verliert die Evangelische Kirche einen Theologen von Rang, der das Evangelium für unsere Zeit pointiert verkündet hat. Damit hat er viele Menschen in ihrer ethischen Haltung geprägt.
Sabine Maurer

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