VORGEBURTLICHES LEBEN

Graz. Wann beginnt menschliches Leben? Mit dieser Frage und den ethischen und religiösen Herausforderungen durch die Reproduktionsmedizin beschäftigte sich eine interreligiöse Veranstaltung am 30. November 2011 in der Synagoge, die das Grazer Komitee für christlich-jüdische Zusammenarbeit initiierte.
 
In ihren Einleitungsworten zu diesem Abend machte die Vorsitzende des Grazer Komitees, Sabine Maurer, darauf aufmerksam, dass der religiöse Aspekt in den öffentlichen Debatten über medizinethische Themen häufig zu kurz kommt, bzw. bewusst ausgeblendet wird. Daher sollten an diesem Abend einmal die religiösen Hintergrundanschauungen der drei Bekenntnisse in den Blick genommen werden, ihre je spezifische Sicht vom menschlichen Leben und wie damit umzugehen ist.

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Die weithin bekannte Auffassung der röm.-katholischen Kirche erläuterte Herr Professor Walter Schaupp vom Institut für Moraltheologie der Universität Graz im Podiumsgespräch. Die katholische Auffassung, wonach mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle das menschliche Leben beginnt, unterscheidet sich sowohl von jüdischer als auch islamischer Sichtweise: Nach jüdischer Überzeugung, so Willy Weisz, (Vizepräsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit) wird dem Embryo bis zum 40. Tag nach der Befruchtung ein geringerer Status zugesprochen als nach Ablauf dieser Frist, da ab diesem Zeitpunkt der Embryo als beseelt gilt. Daher sollte eine Abtreibung nach Möglichkeit vor dieser Frist stattfinden.
Die islamische Vertreterin Zeynep Elibol (Direktorin der Islamischen Fachschule für soziale Berufe) erläuterte ihre Tradition, in der der Embryo einen abgestuften Schutz genießt: Hier spielt in einigen Rechtsschulen der 40. Tag, in anderen  der 120. Tag nach der Befruchtung eine Rolle, ab dem der Embryo als beseelt angesehen wird. Die islamische und die jüdische Ansicht waren sich in vielen Punkten sehr ähnlich. So bejahen beide beispielsweise die In-Vitro-Fertilisation, wenn Samen- und Eizellenspenden von verheirateten Ehepartnern stammen und für ihren Nachwuchs eingesetzt werden.
 
Alle drei Diskussionspartner waren sich darin einig, dass die Forschung im Bereich der Reproduktionsmedizin weitergeführt werden solle, dass aber ein verantwortungsvoller Umgang mit diesen Möglichkeiten auch von den Kirchen und GlaubensGemeinschaften einzufordern sei. Die Podiumsdiskussion endete mit der Feststellung, dass ein interreligiöses Gespräch zu den Fragen des vorgeburtlichen Lebens aus unterschiedlicher religiöser Sicht sehr wertvoll und das Lernen aus den Traditionen der anderen weiterzuführen sei. Der Abend schloss mit angeregten Gesprächen bei Brot und Wein im Veranstaltungsraum der Synagoge.

Sabine Maurer

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