ANTISEMITISMUS UND RELIGIÖSE INTOLERANZ

Wien. In Anbetracht von wachsendem Antisemitismus und Islamophobie in Europa hatte der Vorstand des Internationalen Rats der Christen und Juden ICCJ beschlossen, sich für das Januar-Treffen in einer größeren europäischen Stadt zu treffen und plante eine kleine Konferenz unter dem Titel: "Are Antisemitism and Other Forms of Religiously Based Hostility Growing in Europe? – Majorities and Minorities between Prejudice and Acceptance - Gibt es einen wachsenden Antisemitismus sowie andere Formen religiös motivierter Feindseligkeiten in Europa? Minderheiten und Mehrheiten zwischen Annahme und Akzeptanz."
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Die Wahl fiel auf Wien als Tor zum Osten, vor allem Ungarn, und unter anderem auch wegen der äußerst gut vernetzten Mitgliedsorganisation, dem Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Die Tagung kam mit Unterstützung des deutschen Innenministeriums, des österreichischen Außenministeriums, der Gemeinde Wien (Bezirk Leopoldstadt) und der röm.kath. Erzdiözese Wien zustande.
Die Vorstandssitzungen an den ersten zwei Tagen fanden in den Räumen dieser Mitgliedsorganisation statt. Nach der regelmäßigen Geschäftssitzung berichteten die Vorstandsmitglieder über Antisemitismus / Islamophobie in ihren Ländern. Im Allgemeinen kann man sagen, dass die Situationen sich nicht zu sehr voneinander unterscheiden. Antisemitismus ist in allen Ländern politisch, theologisch, gesellschaftlich und kulturell inakzeptabel, dennoch existiert er unter der Oberfläche und kann jeder Zeit aktiviert werden. Ein Ereignis wie der Gaza Krieg im Sommer 2014 bringt vor allem den linken Antisemitismus hervor, also einen politisch motivierten. Die Beschneidungsdebatte oder andere ähnliche Ereignisse rufen einen antireligiösen Antisemitismus hervor, der in einer weitgehend säkularen Gesellschaft die theologischen Fortschritte der letzten 50 Jahre weitgehend ignoriert. Der Bericht aus Frankreich stand natürlich unter dem Eindruck der jüngsten Ereignisse, musste aber feststellen, dass im Unterschied zu Deutschland eine gewaltbereitere muslimische Bevölkerungsgruppe erheblich zu der begründeten Verunsicherung der jüdischen Bevölkerung beiträgt.
THEOLOGISCHE STIMMEN IN EINER SÄKULAREN WELT?
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Was die Islamophobie betrifft so wurde auch hier eine politische Akzeptanz des Islam bei allen Ländern konstatiert. Jedoch äußern sich Angst und Unwissen in offener öffentlicher Ablehnung des Islam. Durch die Ereignisse, von denen die Öffentlichkeit tagtäglich in den Medien erfährt, fühlen Menschen sich persönlich bedroht und äußern dies auch öffentlich (Pegida in Deutschland und Österreich, ähnliche Phänomene in anderen Ländern). Wenn aus den unterschiedlichen Berichten überhaupt ein Fazit gezogen wurde, dann dieses, dass wir uns verstärkt um „grass-roots" kümmern müssen. In einer weitgehend säkularisierten Gesellschaft erreichen unsere theologischen Erkenntnisse und Verlautbarungen nicht die größere Öffentlichkeit. Das Eine tun und das Andere nicht lassen.
Dienstag Abend, den 27. Januar, nahmen wir an der zentralen Veranstaltung zum Holocaust-Gedenktag teil. Der 27. Januar ist in Österreich kein offizieller Gedenktag. Die Forderung danach wurde bei dieser Gelegenheit geäußert. Die Veranstaltung fand am Heldenplatz unter großer Beteiligung statt. Es sprachen der Generalsekretär der jüdischen Gemeinde, politische Vertreter verschiedener Parteien und Menschrechtsorganisationen. Auch der Präsident des ICCJ war eingeladen, ein Grußwort zu sprechen und konnte so dem christlich-jüdischen Dialog als einen Weg aufzeichnen und dem ICCJ ein Stimme geben.
Am Abend waren wir von der österreichischen Mitgliedsorganisation zum Abendessen eingeladen. Es war ein guter Abend des Austausches und der Begegnung. Sechs Mitgliedsorganisationen hatten Vertreter und Vertreterinnen zu dieser Konferenz geschickt. David Rosen, internationaler Direktor der Abteilung für interreligiöse Angelegenheiten des American Jewish Committee nahm fast durchgehend an allen Beratungen teil.
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VON WISSENSCHAFTLICHEN BEFUNDEN ZUM GESELLSCHAFTLICHEN UND POLITISCHEN HANDELN
Der Mittwoch, 28. Januar, war der Tag der Begegnungen mit Experten, die zu einem Austausch eingeladen waren. Wir trafen uns in den Büroräumen des FRA (European Union Agency for Fundamental Rights - Europäische Grundrechtsagentur), die uns, gegen ihre sonstige Praxis, ihre Räume für die Konsultation zur Verfügung stellte. Die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) ist eine der spezialisierten Agenturen der EU. Diese Agenturen wurden geschaffen, um EU Institutionen und Mitgliedsstaaten mit Expertise aus verschiedenen Bereichen auszustatten. Die FRA hilft sicherzustellen, dass die Grundrechte der Menschen in der EU geschützt werden und gibt unabhängige Empfehlungen für politische Entscheidungsträger. Im Jahr 2013 veröffentlichte FRA eine Studie über Diskriminierung und Hasskriminalität gegenüber Juden in den EU-Mitgliedstaaten: Erfahrungen und Wahrnehmungen im Zusammenhang mit Antisemitismus. Im Rahmen dieser Erhebung der FRA wurden erstmals in einer Reihe von Mitgliedstaaten – Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Lettland, Schweden, Ungarn und Vereinigtes Königreich – vergleichbare Daten über die Erfahrungen und Wahrnehmungen der jüdischen Bevölkerung im Zusammenhang mit Antisemitismus, Hasskriminalität und Diskriminierung zusammengetragen. Ihre Ergebnisse belegen eine beunruhigend starke Diskriminierung, insbesondere in den Bereichen Beschäftigung und Bildung, eine weitverbreitete Furcht vor Viktimisierung und eine zunehmende Besorgnis angesichts des Antisemitismus im Internet.
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Morten Kjaerum, Direktor der FRA und Ioannis Dimitrakopoulos, Abteilungsleiter für Gleichberechtigung und Bürgerrechte begrüßten uns mit der Botschaft, dass die Anschläge von Paris das Herz europäischer Werte trafen und es trotzdem einen Hoffnungsschimmer gebe – ein wachsendes Verständnis für die Bedeutung fundamentaler Menschenrechte, die Arbeit der vielen NGOs im Feld des Dialogs, und Verbreitung von Wissen über einander.
Raimund Fastenbauer, Generalsekretär der jüdischen Gemeinde Wiens, war der erste Redner und Diskutant. Die Quintessenz seiner Ausführungen war die Aufforderung an jede religiöse Gemeinschaft, erst Mal ihr eigenes Haus in Ordnung zu bringen und gipfelte in der Frage, ob Europa stark genug sei, die verschiedenen Traditionen zu integrieren und dabei seine Werte nicht zu verlieren.
Katarina Wyzvaldova von der FRA erläuterte den Bericht über Hasskrimininalität gegen Juden in der EU. Im europäischen Vergleich zeigten die Zahlen, dass gewaltsamer Antisemitismus in Deutschland weniger verbreitet sei als in anderen Ländern.
Ilya Sichrovsky gründete 2010 die Muslim-Jewish Conference, eine Art Dialogforum, bei dem junge Juden und Muslime in Workshops, Seminaren und Vorträgen die unterschiedlichsten Aspekte des Zusammenlebens und des interreligiösen Dialogs miteinander erarbeiten, Misstrauen abbauen, und in kleinen Gruppen, ein Projekt eine Woche lang erarbeiten. Über das erste Treffen hinaus bleiben die Jugendlichen in Kontakt und arbeiten weiter an ihrem sehr niederschwelligen Projekt. Mit Ausnahme der Reise werden alle Kosten von MJC gedeckt. Diese Muslim-Jewish Conference könnte unser FJE interessieren.
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Yariv Lapid, der pädagogische Leiter des Lokhamei ha-Geta'ot sprach über das pädagogische Konzept der Holocaust Education für nachfolgende Generationen am Beispiel der österreichischen KZ-Gedenkstätte Mauthausen. Laut Lapid ist es nötig, dass Jugendliche lernen die Risse in dem eigenen Narrativ zu sehen und sich davon zu lösen, um andere Narrative zu hören. Auch geht es in dem Konzept um die Bedeutung des Holocaust für unser eigenes Leben heute im 21. Jahrhundert und die Rolle der Zivilgesellschaft.
Am 29. Januar waren wir zu Gast in der jüdischen Gemeinde. Dort konnten wir das Abschlusstreffen des Vorstandes mit einem sehr reichhaltigen Imbiss, den die jüdische Gemeinde für uns bereitstellte, verbinden. Auf dieser kleinen Konferenz in Wien wurde wieder einmal deutlich, wie wichtig es ist, Stimmen aus anderen Ländern zu den Problemen wie Antisemitismus und Islamophobie zu hören und sich mit anderen Organisationen auszutauschen.
Eva Schulz-Jander. Die Autorin ist Vizepräsidentin des Deutschen KoordinierungsRats der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit.

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