WIE LUSTIG DARF DER GLAUBEN SEIN?

Dass man im Glauben „Freude" findet, ist allgemein anerkannt. Aber darf Glauben auch „lustig" sein? Oberrabbiner Chaim Eisenberg ist bekannt dafür, tiefe Glaubenswahrheiten mit einer Portion Humor zu verkünden. Im Gespräch traf er den katholischen Religionspädagogen Martin Jäggle. Ein Beitrag aus ypsilon, der Mitgliederzeitschrift der Katholischen Männerbewegung in Österreich.
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• Wie lustig darf der Glauben sein?
Chaim Eisenberg: Wenn lustig mehr ist als fröhlich, da muss man schon aufpassen. Wir sind der Meinung, dass ein religiöser Mensch auch lustbetont leben darf. Es darf nur nicht sein, dass das Wesentliche des Menschen ist, dass er lustbetont ist. Wahrscheinlich ist es mit lustig auch so. Es darf lustig sein, aber nicht immer, es gibt auch ernste Momente. Aber das darf nicht der Hauptzweck und -inhalt des Lebens sein, sondern das darf nebenbei mitfließen.
Martin Jäggle: Die christliche Tradition hat sich mit lustig immer wieder schwer getan. Vor einigen Jahrzehnten war der „lachende Christus" ein großer Kunstskandal. Umberto Ecos „Der Name der Rose" hat ja von dieser mittelalterlichen Auseinandersetzung gelebt, ob Jesus gelacht hat. Heute hat es fast den Eindruck, als ob dem Christentum das Lachen vergangen ist.
Chaim Eisenberg: Einer unserer drei Urväter heißt sogar „Der, über den gelacht wurde": Jitzchak – Isaak. Sara, als man ihr sagte, sie bekommt ein Kind, hat ein bisschen gelacht. Dafür wurde sie kritisiert. Andererseits hat auch Abraham gelacht. Wenn das Lachen ein Lachen der Freude ist, ist es ein gutes Lachen. Wenn es ein nichtgläubiges Lachen ist, dann ist es ein nicht so gutes Lachen.
Martin Jäggle: Es haben sich ja dann doch Traditionen durchgesetzt, die dem Lustigen und Lustbetonten Raum geben. Bei jedem Kirtag, bei jedem Kirchweihfest ist alles lustvoll, menschlich.
• Ein lustiges religiöses Fest gibt es aber im Christentum nicht. Man könnte ja ein Fest des ersten Wunders Jesu bei der Hochzeit von Kana feiern. Purim im Judentum ein Fest, bei dem man wirklich ausgelassen ist. Mehr sogar, als ausgelassen.
Chaim Eisenberg: Purim, das war eine Errettung aus einem angekündigten Pogrom! Es gibt einen zweiten Anlass der Freude und das ist, wenn wir jedes Jahr die Tora fertig lesen, Simchat Tora. Die Tora ist für uns keine Last, die wir „leider" tragen müssen, sondern auch Freude. Das Judentum ist eine Religion, die Feste feiern, aber auch trauern kann, wenn z.B. der Schoa gedacht wird. Leider wird vielleicht heute in der Öffentlichkeit mehr die Trauer – das Gedenken – hervorgehoben. Wir sind weder übermütig und überlustig, sondern wir feiern unsere Feste dem Anlass entsprechend. Der Tag, an dem der Tempel in Jerusalem zerstört wurde, ist natürlich ein Trauertag und ein Fasttag. Dieses Konzentrieren auf einen Tag heißt aber auch, dass wir nicht unser ganzes Leben dem Trauern widmen sollen.
Martin Jäggle: Im Mittelalter ist das Labyrinth von Chartres getanzt, nicht beschritten worden. Für Ostern hat sich dann für lange der sogenannte Oster-Witz etabliert. Am Ende der Feier hat der Priester einen Witz erzählt, ein Ostermärlein, dass alle Tränen gelacht haben.
Chaim Eisenberg: Das zeigt ja, dass das fröhlich sein und das Trauern irgendwo denselben Ursprung haben. Wenn man Tränen lachen kann, ist das schön.
Martin Jäggle: Und das ausgerechnet zu Ostern! Es hat immer wieder auch dieses Ausbalancieren gegeben gegenüber diesem „Jesus lacht nicht" und der Lebensfreude. Besonders war das dann am 28. Dezember, dem „Tag der unschuldigen Kinder", an dem Kinder das Regiment in einem Kloster übernommen haben. Oder natürlich auch im Fasching. Im Kölner Dom war es üblich, einen Esel auf den Bischofsthron zu setzen und im Kniefall zu verehren, was heute schon fast Blasphemie oder Religionsstörung wäre. Da hat auch der Kirchenraum den anderen Seiten des Menschseins Raum geben müssen.
Chaim Eisenberg: Dem entsprechend gibt es in chassidischen Kreisen an Purim einen so genannten Purimrabbiner. Das ist nicht der Weiseste, sondern einer – der schon auch etwas über die Tora weiß – aber es spaßig darstellen kann. Da gibt es ganze Purimstücke, in denen die lustigen Fragen des Purimrabbiners kommen. Ihr Priester erzählt zu Ostern am Ende einen Witz. Im Talmud steht: Wenn jemand einen ernsten Talmud-Vortrag halten soll, hat ihn der Rabbiner immer mit einem kleinen Witz begonnen, damit die Leute aufpassen.
• Lustig hat ja auch damit zu tun, aus der Sphäre des Heiligen auszubrechen. Wenn man „fröhlich" sagt, dann ist man noch in der gesetzteren Sphäre; „lustig" unterbricht das, man schafft einen Abstand.
Martin Jäggle: Für Peter L. Berger ist Humor ein Zeichen von Transzendenz und Harvey Cox nennt Gelächter der Hoffnung letzte Waffe.
Chaim Eisenberg: Fröhlich oder lustig kann auch bedeuten: Bescheidenheit. Jemand, der unbescheiden ist, der mit dem, was ihm das Leben so bietet, dauernd unzufrieden ist, kann nicht lustig sein. Es gibt einen Spruch in den Sprüchen der Väter: „Der ist wirklich reich, der sich an dem freut, was er hat." Man darf schon manchmal unzufrieden sein, aber im Prinzip heißt es: Zufriedenheit führt zur Freude – und dabei auch die Lust zu erlauben, aber sie einzuschränken. Niemand sagt, man darf nicht essen, aber gewisse Dinge dürfen wir Juden nicht essen. Man darf mit einer Frau zusammenleben, aber idealerweise – so will es das Judentum, das Christentum natürlich auch – mit der eigenen. Das heißt, Lust ist nichts Böses, aber wir werden trotzdem immer darauf hingewiesen, dass wir nicht maßlos sein sollen.
Martin Jäggle: Es heißt ja letztlich auch „fröhliche" Weihnacht und nicht „lustige" Weihnacht. Da sieht man vielleicht die Grenze. Die Sorge, dass die Freude zu statisch, zu ernst und zu begrenzt ist, würde ich teilen und daher davon reden, der ausgelassenen Freude Raum zu geben. Etwa auch beim Tanz. Damit würde man etwas wiederbeleben, was in der Kirche als Form des Gotteslobs nicht mehr üblich ist.
• Sind Freude und Ausgelassenheit eine Grenze gegen jeden griesgrämigen Fundamentalismus? Darf man sich über eine andere Religion lustig machen?
Martin Jäggle: Witze soll man nur über die eigene religiöse Tradition machen, und über andere Personen nur, wenn es Diktatoren sind.
Chaim Eisenberg: Es gibt Witze zwischen Rabbinern und Priestern, wo meistens der Rabbiner gewinnt, weil er wie so oft der Klügere ist. Aber wir machen uns nicht über die Religion lustig; wir sagen, wir haben da ein paar Zentimeter Vorsprung.
Das ist vielleicht der Unterschied zwischen einem ernsten und tief frommen Menschen und einem Fundamentalisten. Der tiefe, fromme schaut drauf, dass er fromm ist; der Fundamentalist schaut drauf, dass der andere Jude fromm ist. Der tief-fromme Mensch hat eine gewisse Bescheidenheit und ein Lächeln und der Fundamentalist glaubt nicht, sondern er weiß alles. Wenn er alles weiß, um zu glauben, dann fehlt ihm jeder Humor.
Interview: Markus Himmelbauer
Martin Jäggle (65), Religionspädagoge, Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit
Paul Chaim Eisenberg (63), seit 1983 Oberrabbiner der jüdischen Gemeinde in Wien

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