Pogromgedenken: Kirchen fordern Erinnerung und Achtsamkeit ein
Die Erinnerung an die tragischen Ereignisse von 1938 ist stets notwendig, es braucht jedoch auch besondere Achtsamkeit auf gefährliche Entwicklungen in der Gegenwart: Das war der Tenor am Freitagabend beim diesjährigen ökumenischen Gottesdienst in der Wiener Ruprechtskirche zum Gedenken an die nationalsozialistischen Novemberpogrome, die sich heuer zum 80. Mal jähren. Den Gottesdienst gestalteten u.a. der Vorsitzende der Superiorenkonferenz der Männerorden, Abt emeritus Christian Haidinger, der evangelische Bischof Michael Bünker, der griechisch-orthodoxe Priester Athanasius Buk und der altkatholische Bischof Heinz Lederleitner. Unter den Teilnehmern waren auch der Vorsitzende des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich, Landessuperintendent Thomas Hennefeld, und der Wiener lutherische Superintendent Hansjörg Lein.
"Auch nach 80 Jahren - und auch in weiterer Zukunft - rufen diese schrecklichen Ereignisse nach Buße und Umkehr!", so Altabt Haidinger in seinen Worten. Die Novemberpogrome seien nicht einfach vom Himmel gefallen. Jüdinnen und Juden hätten in Österreich schon seit Jahrhunderten immer wieder Verfolgung erlitten. Dieser Antisemitismus sei nicht nur auf die verquere Rassenideologie der Nationalsozialisten zurückzuführen, sondern auch auf eine jahrhundertelange "Theologie der Verachtung gegenüber den Juden", die maßgeblich zum Leidensweg der Juden beitrug. "Es ist eine sehr dunkle Geschichte, die wir Christen gegenüber den Juden bezeugen müssen", so Haidinger wörtlich. Die Kirchen hätten erst nach der Schoa Partei für die Juden ergriffen und jedweder Theologie der Verachtung abgeschworen.
Bei aller Erinnerung gehe es vor allem um Solidarität in der Gegenwart "und um gemeinsame Wege in eine gute Zukunft", so Haidinger, und weiter: "Tagtäglich begegnen wir wieder Parolen und Worten des Hasses, die nicht nur gegen Juden, sondern gegen alle, die in der Minderheit sind, am Rand leben oder einfach anders sind, ausgestoßen werden. Die Sprache des Hasses und die Wahl der Worte gegen diese Menschen gleichen einander frappant. Flüchtlinge, Asylwerber, Migranten - all das sind Schimpfwörter geworden für Mitbürger, denen das Menschsein und die Menschenwürde zunehmend abgesprochen wird."
Haidinger rief zur Wachsamkeit auf: "Wir dürfen unsere Hände nicht in den Schoß legen im Gefühl trügerischer Sicherheit! Nie und nimmer dürfen wir uns auch abfinden mit den Verhältnissen, wie wir sie gerade gegenwärtig wieder wahrnehmen!"
Bünker betont persönliche Verantwortung
"Was hätte ich getan? Hätte ich geholfen? Oder hätte ich weggeschaut, wäre ich vorbei gegangen, hätte ich womöglich sogar mitgemacht?" Mit Fragen an die persönliche Verantwortung konfrontierte der evangelisch-lutherische Bischof Michael Bünker in seinen Worten zum Gedenken. Nicht immer seien es die eigenen Taten, "die eine Wende zum Guten bringen oder Schlimmes verhindern. Aber wir können immer etwas tun!" Zum Handeln rief Bünker auch mit Blick auf gegenwärtige Entwicklungen auf. Er erinnerte an die "mehr als 1.400 antisemitischen Übergriffe in Deutschland im letzten Jahr, oder die mehr als 500 bei uns in Österreich. Immer haben weit mehr als 90 Prozent einen rechtsextremen Hintergrund." Nachfolgende Generationen würden die heutige vor die Frage stellen: "Habt ihr nichts gewusst? Habt ihr nichts getan? Sie alle werden vor uns auftauchen und uns anschauen. Sie werden unser Gericht sein."
"Glauben gibt Kraft zum Widerstand"
Der griechisch-orthodoxe Priester Athanasius Buk verlas eine Grußbotschaft des griechisch-orthodoxen Metropoliten Arsenios (Kardamakis), der an den weitgehend fehlenden Widerstand der Zivilbevölkerung zur Zeit des Nationalsozialismus erinnerte: "Viele Menschen entschieden sich, das Böse zu tun. Viele schlossen sich nicht an, taten aber auch nichts dagegen. Es gab aber auch mutige Menschen, die Widerstand leisteten, häufig im Kleinen, wie durch das Verstecken Verfolgter." Heute sei vor allem der Glauben eine Quelle der Kraft, "um gegen den Strom zu schwimmen und Widerstand zu leisten".
"Pogromgedenken darf nie Selbstzweck werden"
Übermittelt wurde im Gottesdienst auch ein Grußwort des Wiener Gemeinderabbiners Schlomo Hofmeister, das von Stefanie Plangger vom christlich-jüdischen Koordinierungsausschuss verlesen wurde. Hofmeister fand darin deutliche Worte: Das Gedenken an die historisch einmaligen und unvergleichlichen Verbrechen des Nationalsozialismus dürfe niemals zum Selbstzweck zelebriert werden, sondern diene dem einzigen Ziel und Zweck, "sicherzustellen, dass sich Derartiges oder auch nur im Ansatz strukturell oder systematisch Ähnliches nie wieder wiederholt".
Hofmeister sprach von "wachsender Intoleranz und zunehmender menschlichen Kälte dem Anderen, dem Fremden und Unbekannten gegenüber". Er kritisierte, dass Hetze und das Schüren von Ängsten und Vorurteilen gegenüber Minderheiten in der gesamten westlichen Welt kein Tabu mehr zu sein scheine. Religiöse Rechte und Praktiken von Minderheiten würden europaweit, politisch und gesellschaftlich zunehmend delegitimiert. "Braune Ausrutscher" würden wieder zu "regelmäßigen Einzelfällen" des politischen Alltags und von den politisch Verantwortlichen "entweder relativiert und entschuldigt, ausgeschwiegen, oder mit unglaubwürdig gewordenen Phrasen der Verurteilung aus dem eigenen Verantwortungsbereich geschoben".
In solchen Zeiten dürften es gerade religiös orientierte Menschen nicht hinnehmen, "wenn jene, die sich als Retter der Werte des christlichen oder gar des 'christlich-jüdischen' Abendlandes aufspielen, diese uns allen gemeinsamen Werte des ethischen Monotheismus, der Menschlichkeit und der Nächstenliebe, selbst nicht zu kennen scheinen oder einfach nicht bereit sind, diese auch realpolitisch umzusetzen". Das sei Missbrauch von Religion, so der Rabbiner.
Mit einem Schweige- und Lichtermarsch zum Holocaust-Denkmal am Judenplatz in der Wiener Innenstadt wurde der Gedenkgottesdienst abgeschlossen. Für die musikalische Gestaltung zeichneten der Chor der Gemeinde St. Ruprecht unter Leitung von Otto Friedrich, Joanna Jimin Lee am Klavier und Wilhelm Klebel an der Viola verantwortlich.
Erinnerung bis in die Morgenstunden
Bei einer anschließenden Nacht der Erinnerung in der Ruprechtskirche wurde in Texten, Musik und Stille der Gewalt vor 80 Jahren gedacht. Margarete Rabow zeigte ihren Film "66.000" und sprach über ihr Projekt "Schreiben gegen das Vergessen", bei dem die Namen der 66.000 österreichischen Schoah-Opfer in der Prater-Hauptallee mit Kreide aufgeschrieben wurden. Der Liedermacher Hans Breuer und das Quartett WanDeRer spielten jüdische Lieder von Vertreibung und Verfolgung. Der Gottesdienst, der Schweigemarsch unddie Nacht der Erinnerung fanden im Rahmen der "Bedenktage"-Reihe "Mechaye Hametim - Der die Toten auferweckt" statt.
Quelle: https://www.kathpress.at
Bei aller Erinnerung gehe es vor allem um Solidarität in der Gegenwart "und um gemeinsame Wege in eine gute Zukunft", so Haidinger, und weiter: "Tagtäglich begegnen wir wieder Parolen und Worten des Hasses, die nicht nur gegen Juden, sondern gegen alle, die in der Minderheit sind, am Rand leben oder einfach anders sind, ausgestoßen werden. Die Sprache des Hasses und die Wahl der Worte gegen diese Menschen gleichen einander frappant. Flüchtlinge, Asylwerber, Migranten - all das sind Schimpfwörter geworden für Mitbürger, denen das Menschsein und die Menschenwürde zunehmend abgesprochen wird."
Haidinger rief zur Wachsamkeit auf: "Wir dürfen unsere Hände nicht in den Schoß legen im Gefühl trügerischer Sicherheit! Nie und nimmer dürfen wir uns auch abfinden mit den Verhältnissen, wie wir sie gerade gegenwärtig wieder wahrnehmen!"
Bünker betont persönliche Verantwortung
"Was hätte ich getan? Hätte ich geholfen? Oder hätte ich weggeschaut, wäre ich vorbei gegangen, hätte ich womöglich sogar mitgemacht?" Mit Fragen an die persönliche Verantwortung konfrontierte der evangelisch-lutherische Bischof Michael Bünker in seinen Worten zum Gedenken. Nicht immer seien es die eigenen Taten, "die eine Wende zum Guten bringen oder Schlimmes verhindern. Aber wir können immer etwas tun!" Zum Handeln rief Bünker auch mit Blick auf gegenwärtige Entwicklungen auf. Er erinnerte an die "mehr als 1.400 antisemitischen Übergriffe in Deutschland im letzten Jahr, oder die mehr als 500 bei uns in Österreich. Immer haben weit mehr als 90 Prozent einen rechtsextremen Hintergrund." Nachfolgende Generationen würden die heutige vor die Frage stellen: "Habt ihr nichts gewusst? Habt ihr nichts getan? Sie alle werden vor uns auftauchen und uns anschauen. Sie werden unser Gericht sein."
"Glauben gibt Kraft zum Widerstand"
Der griechisch-orthodoxe Priester Athanasius Buk verlas eine Grußbotschaft des griechisch-orthodoxen Metropoliten Arsenios (Kardamakis), der an den weitgehend fehlenden Widerstand der Zivilbevölkerung zur Zeit des Nationalsozialismus erinnerte: "Viele Menschen entschieden sich, das Böse zu tun. Viele schlossen sich nicht an, taten aber auch nichts dagegen. Es gab aber auch mutige Menschen, die Widerstand leisteten, häufig im Kleinen, wie durch das Verstecken Verfolgter." Heute sei vor allem der Glauben eine Quelle der Kraft, "um gegen den Strom zu schwimmen und Widerstand zu leisten".
"Pogromgedenken darf nie Selbstzweck werden"
Übermittelt wurde im Gottesdienst auch ein Grußwort des Wiener Gemeinderabbiners Schlomo Hofmeister, das von Stefanie Plangger vom christlich-jüdischen Koordinierungsausschuss verlesen wurde. Hofmeister fand darin deutliche Worte: Das Gedenken an die historisch einmaligen und unvergleichlichen Verbrechen des Nationalsozialismus dürfe niemals zum Selbstzweck zelebriert werden, sondern diene dem einzigen Ziel und Zweck, "sicherzustellen, dass sich Derartiges oder auch nur im Ansatz strukturell oder systematisch Ähnliches nie wieder wiederholt".
Hofmeister sprach von "wachsender Intoleranz und zunehmender menschlichen Kälte dem Anderen, dem Fremden und Unbekannten gegenüber". Er kritisierte, dass Hetze und das Schüren von Ängsten und Vorurteilen gegenüber Minderheiten in der gesamten westlichen Welt kein Tabu mehr zu sein scheine. Religiöse Rechte und Praktiken von Minderheiten würden europaweit, politisch und gesellschaftlich zunehmend delegitimiert. "Braune Ausrutscher" würden wieder zu "regelmäßigen Einzelfällen" des politischen Alltags und von den politisch Verantwortlichen "entweder relativiert und entschuldigt, ausgeschwiegen, oder mit unglaubwürdig gewordenen Phrasen der Verurteilung aus dem eigenen Verantwortungsbereich geschoben".
In solchen Zeiten dürften es gerade religiös orientierte Menschen nicht hinnehmen, "wenn jene, die sich als Retter der Werte des christlichen oder gar des 'christlich-jüdischen' Abendlandes aufspielen, diese uns allen gemeinsamen Werte des ethischen Monotheismus, der Menschlichkeit und der Nächstenliebe, selbst nicht zu kennen scheinen oder einfach nicht bereit sind, diese auch realpolitisch umzusetzen". Das sei Missbrauch von Religion, so der Rabbiner.
Mit einem Schweige- und Lichtermarsch zum Holocaust-Denkmal am Judenplatz in der Wiener Innenstadt wurde der Gedenkgottesdienst abgeschlossen. Für die musikalische Gestaltung zeichneten der Chor der Gemeinde St. Ruprecht unter Leitung von Otto Friedrich, Joanna Jimin Lee am Klavier und Wilhelm Klebel an der Viola verantwortlich.
Erinnerung bis in die Morgenstunden
Bei einer anschließenden Nacht der Erinnerung in der Ruprechtskirche wurde in Texten, Musik und Stille der Gewalt vor 80 Jahren gedacht. Margarete Rabow zeigte ihren Film "66.000" und sprach über ihr Projekt "Schreiben gegen das Vergessen", bei dem die Namen der 66.000 österreichischen Schoah-Opfer in der Prater-Hauptallee mit Kreide aufgeschrieben wurden. Der Liedermacher Hans Breuer und das Quartett WanDeRer spielten jüdische Lieder von Vertreibung und Verfolgung. Der Gottesdienst, der Schweigemarsch unddie Nacht der Erinnerung fanden im Rahmen der "Bedenktage"-Reihe "Mechaye Hametim - Der die Toten auferweckt" statt.
Quelle: https://www.kathpress.at