DAS JUDENTUM IM RELIGIONSUNTERRICHT

Wien. „Die Zwölf Thesen von Berlin“, aktuelle Meilensteine des christlich-jüdischen Dialogs, waren das Thema einer Tagung, zu der der Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit und der Internationale Rat der Christen und Juden ICCJ von 23. bis 25. Oktober 2011 nach Wien geladen hatten.
 
Etwa 20 Personen repräsentierten dort Dialoginitiativen und wissenschaftliche Einrichtungen aus dem mitteleuropäischen Raum; Vertreterinnen und Vertreter aus der Tschechischen Republik, aus Polen, aus der Slowakei, aus Ungarn, Rumänien, Kroatien und Österreich waren anwesend.
 
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ZEIT ZUR NEUVERPFLICHTUNG
 
 
Das Dokument „Zeit zur Neuverpflichtung – Die zwölf Thesen von Berlin“ wurde 2009 als Aufruf an christliche und jüdische Gemeinden weltweit nach einem mehrjährigen Konsultationsprozess in Berlin von den Mitgliedsorganisationen des Internationalen Rats der Christen und Juden verabschiedet. Für ICCJ-Generalsekretär Dick Pruiksma ist das Wichtigste an diesen Punkten, dass Juden und Christen sie zusammen statt getrennt geschrieben haben. Es ist nicht der Text einer einzelnen Kirche. "Die Aufrufe sind auch an die jüdische Seite gerichtet", erklärt Pruiksma: "Bislang wurde der Handlungsbedarf - zurecht - allein auf christlicher Seite geortet. Diese Änderung der Perspektive ist eines der 'heißen Eisen', die im Berliner Dokument angesprochen sind." Etwa der Nahostkonflikt und seine Auswirkungen auf die Dialogbemühungen weltweit und die Sicht des Anderen im Gebet des Judentums.
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"ALLE FORMEN VON ANTISEMITISMUS BEKÄMPFEN"
Die Tagung in Wien nun beschäftigte sich als Schwerpunkt mit dem Religionsunterricht in den beteiligten Ländern und griff damit ein Anliegen des Berliner Dokuments auf, „religiöse, rassische und alle anderen Formen von Antisemitismus zu bekämpfen“.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer stellten sich den bereits 1980 erarbeiteten Kriterien des Freiburger Religionspädagogen Peter Fiedler und analysierten die Darstellung des Judentums in den verwendeten Lehrbüchern der einzelnen Länder.

• Wird das Judentum als eigenständige, durch die Jahrhunderte bis in die Gegenwart lebendige und vom Christentum unabhängige Religionsgemeinschaft in Theorie und Praxis anerkannt und geachtet?
• Wird die bleibende Bezogenheit des Christentums auf das Judentum erfasst?
• Wird ein Begründungszusammenhang für das Christsein aus der jüdischen Wurzel erkannt und dargestellt?
• Trägt der Unterricht dazu bei, Dialogfähigkeit mit Juden in ihrer vielfältigen Lebenswirklichkeit heute und morgen zu ermöglichen?
 
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ERSTMALS GRENZÜBERSCHREITENDE ANALYSE
 
Unterschiedlich fiel die Beschreibung der Unterrichtswerke der einzelnen Länder aus. Oftmals können die oben gestellten Fragen nicht bejaht werden. Viel ist dem Engagement der einzelnen Lehrpersonen überlassen, in wie weit sie Themen der christlich-jüdischen Verbundenheit vertiefen, ja überhaupt erst ansprechen. Die christlich-jüdische Gesellschaft Prag hat aus dieser Notwendigkeit eine kompakte Materialsammlung zusammengestellt, etwa jenen entsprechend, die im deutschen Sprachraum bereits in den 1970er Jahren entstanden sind.
 
Überraschend positiv wurden die katholischen Religionsbücher in Kroatien gewürdigt, in denen das Judentum häufiger als selbst alle anderen christlichen Konfessionen gemeinsam thematisiert wird. Aufgefallen ist in den in Österreich verwendeten Büchern zum evangelischen Religionsunterricht,
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dass bei der Bearbeitung einer Vorlage aus Deutschland für die Oberstufe ein Kapitel über das Judentum ersatzlos gestrichen und durch den Islam ersetzt wurde. Ein anderes Werk für die Sekundarstufe 1 charakterisiert das Judentum zuerst negativ: Juden glauben nicht an Jesus Christus.

Für katholische Lehrbücher in Polen und Österreich existiert eine aktuelle wissenschaftliche Reflexion. Für andere Länder wurde diese Analyse hier wahrscheinlich das erste Mal überhaupt durchgeführt, für die grenzübergreifende Zusammenschau war die Tagung jedenfalls eine Premiere. Ein Beitrag aus Ungarn analysierte anhand aktueller gesellschaftlicher und kirchlicher Trends in Österreichs Nachbarland die beängstigenden Auswirkungen einer unreflektierten Weitergabe traditioneller judenfeindlicher Stereotypen.
 
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INTERNATIONALE ZUSAMMENARBEIT MIT TRADITION
 
Die Kooperation im Donauraum  ist dem Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit ein wichtiges Anliegen. Seit 2002 gab es dazu drei internationale Tagungen im Burgenland, zwei Treffen in Wien, zwei Konferenzen in Budapest und eine Begegnung im rumänischen Arad. Heuer zum Tag des Judentums vermittelte der Koordinierungsausschuss eine Vorlesung von ICCJ-Präsidentin Deborah Weissman im slowakischen Nationalmuseum Pressburg.
 
ICCJ-Generalsekretär Dick Pruiksma freut sich, dass bei diesen regionalen Konferenzen die "Zwölf Thesen von Berlin" bei Mitgliedsorganisationen und Interessierten bekannt gemacht und vertieft werden. "Die Arbeit an den Zwölf Punkten bereichert die Mitgliedsorganisationen sicherlich", ist Pruiksma überzeugt: "Sie sind eine Chance, die Kontakte untereinander zu fördern und sie wirken befruchtend in die Zivilgesellschaft, auf Kirchen und jüdische Gemeinden in den einzelnen Ländern."

Die Tagung wurde unterstützt vom Innenministerium der Bundesrepublik Deutschland, vom österreichischen Außenministerium, von der Bezirksvorstehung Leopoldstadt und der Erzdiözese Wien.
 
Markus Himmelbauer

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