Theologe: Neue Erkenntnisse zur Trennung von Judentum und Christentum
Wiener Bibelwissenschaftler Tiwald präsentierte Band "Parting of the Ways" über komplexe Trennungsgeschichte und verbindende Wurzeln von Juden und Christen
"Teile unserer Geschichtsbücher müssen umgeschrieben werden": In seltener Einigkeit haben Wissenschaftler - Theologen wie Judaisten - mit dieser Phrase eine Neuerscheinung auf dem theologischen Büchermarkt gewürdigt: das Buch des Wiener Neutestamentlers Prof. Markus Tiwald mit dem etwas sperrigen Titel "Parting of the Ways". Darin zeichnet Tiwald den komplexen und keineswegs geradlinig verlaufenden Prozess der Trennung von Judentum und Christentum nach. Ein Prozess, der "an unterschiedlichen Orten und mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten ablief und nicht einmal durch die christologischen Fixierungen des vierten Jahrhunderts seinen endgültigen Abschluss fand", wie Tiwald bei einer Buchpräsentation am Dienstagabend in Wien betonte.
"Teile unserer Geschichtsbücher müssen umgeschrieben werden": In seltener Einigkeit haben Wissenschaftler - Theologen wie Judaisten - mit dieser Phrase eine Neuerscheinung auf dem theologischen Büchermarkt gewürdigt: das Buch des Wiener Neutestamentlers Prof. Markus Tiwald mit dem etwas sperrigen Titel "Parting of the Ways". Darin zeichnet Tiwald den komplexen und keineswegs geradlinig verlaufenden Prozess der Trennung von Judentum und Christentum nach. Ein Prozess, der "an unterschiedlichen Orten und mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten ablief und nicht einmal durch die christologischen Fixierungen des vierten Jahrhunderts seinen endgültigen Abschluss fand", wie Tiwald bei einer Buchpräsentation am Dienstagabend in Wien betonte.
Auf rund 500 Seiten zeichnet der Bibelwissenschaftler nach, wie stark religiöse Motive im Frühjudentum und beginnenden Christentum sich durchmischten und wie wichtig das Wissen auch um die Geschichte des Judentums ist, um die Figur des Jesus von Nazareth ebenso wie Paulus, Petrus und andere Zentralgestalten des Christentums zu verstehen. "Jesus und seine ersten Nachfolger waren Juden - eine Glaubensgemeinschaft abseits des Judentums hatten sie nie intendiert": Was inzwischen zu einem Stehsatz im Christentum geworden sei, werde erst durch die Zusammenschau neuerer Forschungen lebendig, so Tiwald. In seinem Buch beruft er sich u.a. auf wegweisende Forschungen des Wiener Judaisten em.Prof. Günter Stemberger, der ebenfalls bei der Buchpräsentation in der Buchhandlung "Herder" anwesend war.
Beispiele für notwendige Korrekturen
Beispiele für notwendige Theologie-historische Revisionen seien etwa die "Synode von Javné", die übliche These, der Christusglaube bzw. das Christusbekenntnis habe die Trennung besiegelt, und die Rede von "jüdischen Christenverfolgungen". Die These einer den biblischen Kanon des Judentums fixierenden und somit eine Trennung vom Christentum forcierenden "Synode von Javné" zum Ende des ersten Jahrhunderts nach Christus sei nicht mehr haltbar, so Tiwald. Eine solche Synode und die angebliche dortige "Verfluchung der Christen durch die Synode" habe historisch nie stattgefunden, sondern bleibe eine "Konstruktion von Heinrich Graetz im 19. Jahrhundert".
Gleiches gelte für die These, das Christusbekenntnis habe den Bruch besiegelt: Im Frühjudentum seien zahlreiche "Zeichenpropheten mit messianischen Anklängen" belegt, die zwar zu Meinungsverschiedenheiten, nicht aber zum Bruch geführt hätten. Auch die Annahme von "jüdischen Christenverfolgungen" unter Verweis auf die Steinigung des Stephanus oder die Hinrichtung des Zebedaiden Jakobus habe keine historische Basis. Vielmehr habe es sich vermutlich um "spontane Lynchjustiz, resultierend aus innerjüdischen Gruppenstreitigkeiten zwischen einer liberalen und einer konservativen Lesart des jüdischen Gesetzes" gehandelt.
Judentum ist mehr als Altes Testament
Beim anschließenden Podiumsgespräch verwiesen die Judaisten Günter Stemberger und Gerhard Langer zudem darauf, dass mit einer verkürzten Wahrnehmung des Judentums in der christlichen Theologie aufgeräumt werden müsse: Das Judentum speise sich aus wesentlich mehr Quellen als aus den alttestamentlichen Schriften. Nur wenn man die vielen anderen Quellen hinzuziehe, werde sichtbar, dass Altes und Neues Testament eben nicht nahtlos ineinander übergingen. "Es gab keine punktuelle Trennung, sondern eine Pendelbewegung über Jahrhunderte hinweg", sagte Stemberger.
Eine historisch genaue Rekonstruktion unter Berücksichtigung möglichst vieler Quellen bleibe dann auch für den christlich-jüdischen Dialog nicht folgenlos, zeigten sich die Diskutanten überzeugt. Von einem "dringend notwendigen Paradigmenwechsel" in der christlichen Wahrnehmung des Judentums sprach etwa der Religionspädagoge und Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit, em.Prof. Martin Jäggle. Und der evangelische Bibelwissenschaftler Prof. Markus Öhler ergänzte, dass nun weitere Schritte zur Verbreitung der Forschungsergebnisse gerade unter Theologinnen und Theologen sowie unter Priestern und Predigern notwendig seien.
Auch bei der Betrachtung neutestamentlicher, "auf uns heute antijüdisch wirkender Stellen" etwa im Johannesevangelium oder in paulinischen Briefen könne eine dem Buch entlehnte genaue Relecture der historischen Quellen und Diskussionen der Zeit zu einem differenzierteren Blick beitragen - freilich ohne tatsächliche Antijudaismen auf diese Weise zu relativieren, so Stemberger.
Bereits im September hatte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien eine interdisziplinäre und interreligiöse Tagung unter Leitung von Tiwald und Öhler das Thema behandelt. Dabei wurden die Forschungsergebnisse einem fachwissenschaftlichen Publikum präsentiert und diskutiert. (Buchhinweis: Markus Tiwald, Frühjudentum und beginnendes Christentum. Gemeinsame Wurzeln und das Parting of the Ways, Kohlhammer 2022)
Quelle: kathpress.at
Beispiele für notwendige Korrekturen
Beispiele für notwendige Theologie-historische Revisionen seien etwa die "Synode von Javné", die übliche These, der Christusglaube bzw. das Christusbekenntnis habe die Trennung besiegelt, und die Rede von "jüdischen Christenverfolgungen". Die These einer den biblischen Kanon des Judentums fixierenden und somit eine Trennung vom Christentum forcierenden "Synode von Javné" zum Ende des ersten Jahrhunderts nach Christus sei nicht mehr haltbar, so Tiwald. Eine solche Synode und die angebliche dortige "Verfluchung der Christen durch die Synode" habe historisch nie stattgefunden, sondern bleibe eine "Konstruktion von Heinrich Graetz im 19. Jahrhundert".
Gleiches gelte für die These, das Christusbekenntnis habe den Bruch besiegelt: Im Frühjudentum seien zahlreiche "Zeichenpropheten mit messianischen Anklängen" belegt, die zwar zu Meinungsverschiedenheiten, nicht aber zum Bruch geführt hätten. Auch die Annahme von "jüdischen Christenverfolgungen" unter Verweis auf die Steinigung des Stephanus oder die Hinrichtung des Zebedaiden Jakobus habe keine historische Basis. Vielmehr habe es sich vermutlich um "spontane Lynchjustiz, resultierend aus innerjüdischen Gruppenstreitigkeiten zwischen einer liberalen und einer konservativen Lesart des jüdischen Gesetzes" gehandelt.
Judentum ist mehr als Altes Testament
Beim anschließenden Podiumsgespräch verwiesen die Judaisten Günter Stemberger und Gerhard Langer zudem darauf, dass mit einer verkürzten Wahrnehmung des Judentums in der christlichen Theologie aufgeräumt werden müsse: Das Judentum speise sich aus wesentlich mehr Quellen als aus den alttestamentlichen Schriften. Nur wenn man die vielen anderen Quellen hinzuziehe, werde sichtbar, dass Altes und Neues Testament eben nicht nahtlos ineinander übergingen. "Es gab keine punktuelle Trennung, sondern eine Pendelbewegung über Jahrhunderte hinweg", sagte Stemberger.
Eine historisch genaue Rekonstruktion unter Berücksichtigung möglichst vieler Quellen bleibe dann auch für den christlich-jüdischen Dialog nicht folgenlos, zeigten sich die Diskutanten überzeugt. Von einem "dringend notwendigen Paradigmenwechsel" in der christlichen Wahrnehmung des Judentums sprach etwa der Religionspädagoge und Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit, em.Prof. Martin Jäggle. Und der evangelische Bibelwissenschaftler Prof. Markus Öhler ergänzte, dass nun weitere Schritte zur Verbreitung der Forschungsergebnisse gerade unter Theologinnen und Theologen sowie unter Priestern und Predigern notwendig seien.
Auch bei der Betrachtung neutestamentlicher, "auf uns heute antijüdisch wirkender Stellen" etwa im Johannesevangelium oder in paulinischen Briefen könne eine dem Buch entlehnte genaue Relecture der historischen Quellen und Diskussionen der Zeit zu einem differenzierteren Blick beitragen - freilich ohne tatsächliche Antijudaismen auf diese Weise zu relativieren, so Stemberger.
Bereits im September hatte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien eine interdisziplinäre und interreligiöse Tagung unter Leitung von Tiwald und Öhler das Thema behandelt. Dabei wurden die Forschungsergebnisse einem fachwissenschaftlichen Publikum präsentiert und diskutiert. (Buchhinweis: Markus Tiwald, Frühjudentum und beginnendes Christentum. Gemeinsame Wurzeln und das Parting of the Ways, Kohlhammer 2022)
Quelle: kathpress.at