AUS DEM CHRISTLICH-JÜDISCHEN DIALOG ERNEUERTE KIRCHEN

Der christlich-jüdische Dialog schafft nicht nur eine neue Beziehung zum jüdischen Gegenüber, er hat auch Konsequenzen für das Selbstverständnis der Kirchen. Ein Bericht von einem angeregten Diskussionsabend im Wiener Kardinal König Haus.

Ein breites Spektrum Interessierter aus unterschiedlichen Kirchen diskutierte am 15. November im Kardinal König Haus darüber, wie eine Kirche aussehen müsste, die sich das Anliegen des christlich-jüdischen Dialogs zu Eigen gemacht hat. Katholikinnen und Katholiken, evangelische Christinnen und Christen sowie Mitglieder verschiedner Freikirchen füllten den Konferenzraum im Bildungshaus der Jesuiten.
Markus Himmelbauer, Geschäftsführer des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit, führte in einem Vortrag ins Thema ein: Erneuerter Glaube – Wohin soll der christlich-jüdische Dialog die Kirchen führen? Als Gesprächspartner für die anschließende Diskussion standen die protestantische Theologin Susanne Heine, emeritierte Professorin für Praktische Theologie und Religionspsychologie, der katholische Kommunikationswissenschaftler Maximilian Gottschlich und Pastor Helmuth Eiwen, Leiter der freikirchlichen Ichthys-Gemeinde in Wiener Neustadt, zur Verfügung. An diesem Abend ging es um ein zentrales Stück des christlichen Selbstverständnisses. Entsprechend engagiert waren die Wortmeldungen.

„STÄNDIGE BITTE UM VERGEBUNG“
Himmelbauer skizzierte zunächst zwei Dimensionen des christlich-jüdischen Dialogs: „Es geht um die Begegnung mit Jüdinnen und Juden und um das Kennenlernen ihres Glaubens. Aber die jüdische Religion gehört auch zum ‚Inneren’ unseres eigenen, christlichen Bekenntnisses.“ Mit der „Lehre der Verachtung“ des Judentums hätten die Kirchen nicht nur ihrem jüdischen Gegenüber Gewalt angetan, sondern auch ihre eigene Identität beschnitten.
Himmelbauer stellte aus kirchlichen Stellungnahmen eine „Checkliste“ zusammen. Welche Einsichten für das eigene Selbstverständnis haben die Kirchen für sich im Geist der Erneuerung aus dem christlich-jüdischen Dialog formuliert?
Im Gedenken an die Opfer der Schoa haben sich die katholischen Bischöfe Deutschlands und Österreichs 1988 zum „immer währenden Gebet für die Millionen im Laufe der Geschichte ermordeten Juden und die ständige Bitte an Gott um Vergebung des vielfachen Versagens“ der Christinnen und Christen verpflichtet. Mit „immer während“ und „ständig“ hätten sie sich eine hohe Latte gelegt, an der die Kirchen auch gemessen werden, so Himmelbauer. Die evangelische Kirche will „die Erinnerung an die Leidensgeschichte des jüdischen Volkes und an die Schoa stets wach halten.“ Die freikirchliche Ichthys-Gemeinde Wiener Neustadt sieht „ihre Berufung darin, in einem praktischen Dienst der Versöhnung jüdischen Menschen, insbesondere Holocaust Überlebenden im In- und Ausland zu dienen.“
„LERNEN, WELCHE RELIGIÖSE WIRKLICHKEIT DER JUDEN NACH DEREN EIGENEM VERSTÄNDNIS WESENTLICH“ IST
In der Charta Oecumenica, der „Hausordnung der Kirchen für Europa“ aus dem Jahr 2001 wird der christlich-jüdische Dialog nicht auf die Kirchen selbst und die eigene Erneuerung bezogen. Man sucht dort allein „auf allen Ebenen den Dialog mit unseren jüdischen Geschwistern“. Christen sollten dadurch das Judentum kennenlernen und versuchen, es in seinen eigenen Kategorien zu verstehen, wie es Papst Johannes Paul II. 1986 in der Synagoge von Rom formuliert hat. Bei der Zweiten Europäischen Ökumenischen Versammlung 1997 in Graz brachten alle Kirchen ihre Dankbarkeit zum Ausdruck, „dass die Zahl jüdischer Gemeinden in vielen Ländern Europas wächst, dass Christen wieder die Möglichkeit haben, mit Juden zusammenzuleben und ihr gemeinsames Erbe zu entdecken und zu verstehen.“ Für Himmelbauer sind dies „klare Worte der Wertschätzung nach jahrhunderten der Verachtung des Judentums“.
Kirchliche Stellungnahmen richten ihr Augenmerk auf das Erste/ Alte Testament als lebendiges Wort Gottes von Juden und Christen. Die katholische Wiener Diözesansynode 1970 und die freikirchliche Ichthys-Gemeinde sagen, die Existenz des jüdischen Volks müsse aus christlicher Sicht heilsgeschichtlich verstanden werden. Die evangelische Kirche in Österreich stellte 1998 unmissverständlich fest: „Mission unter den Juden (ist) theologisch nicht gerechtfertigt und als kirchliches Programm abzulehnen.“ Die Wiener Synode erwartete 1970 von den Katholiken, „dass sie nichts unversucht lassen, um die zwischen ihnen und den Juden bestehende und durch traditionelle Missverständnisse genährte Entfremdung zu überwinden.“
Das Ziel christlich-jüdischer Weggemeinschaft liege letztlich im Gottes Hand, wie es Himmelbauer anhand der Karfreitagsfürbitte „Für die Juden“ erklärte: „Er bewahre sie in der Treue zu seinem Bund und in der Liebe zu seinem Namen, damit sie das Ziel erreichen, zu dem sein Ratschluss sie führen will.“ Es geht um das Ziel nach Gottes Ratschluss, nicht nach menschlichen Vorstellungen.
BESCHEIDENHEIT DER KIRCHEN
In der Diskussion wurde thematisiert, wie dieses Kirchenbild „hinunter zu den Gläubigen“ getragen werden könnte. Doch wurde auch gefragt, ob diese Elemente einer Kirche, die aus dem christlich-jüdischen Dialog gelernt hat, schon in den Kirchenleitungen angekommen und Teil des fraglosen Selbstverständnisses geworden seien. Ohne das Vorbild und Beispiel von Persönlichkeiten an der Spitze sei eine tiefer gehende Verwurzelung wohl nicht möglich, ob es nun Papst Johannes Paul II. für die Weltkirche war oder ein Pfarrer für seine einzelne Gemeinde.
Der freikirchliche Pastor Helmuth Eiwen verwies auf die Begegnungstage seiner Gemeinde. Als konkreter Schritt zur Versöhnung werden dazu Überlebende der Schoa und deren Nachkommen nach Wiener Neustadt eingeladen. Eiwen sieht dies als Konsequenz aus einer „Ölbaum-Theologie“ mit Bezug auf Kapitel 11 des Römerbriefs. Jedem sollte bewusst sein: „Ich bin ein Zweig, der auf den edlen Ölbaum Israels aufgepfropft ist – mit all den Konsequenzen für unseren Glauben, die daraus folgen.“
Für die Lutheranerin Susanne Heine und den Katholiken Maximilian Gottschlich sind eine Ablehnung jeglicher Judenmission unverzichtbare Voraussetzung für eine aufrichtige Begegnung mit jüdischen Gläubigen: „Nach all dem, was Christen in der Geschichte Juden angetan haben, sollten wir für immer darauf verzichten, besser zu wissen, was für das Heil der Juden notwendig ist“, so Gottschlich. Dialog könne nie um den Preis der Unterwerfung des Anderen unter den eigenen Wahrheitsanspruch gelingen. Susanne Heine meinte: „Eine Kirche, die weiß, wer sie ist und was sie glaubt, gewinnt ihre Identität nicht daraus, dass sie anderen unterstellt, nichts zu wissen und das Falsche zu glauben.“ Für Heine gilt es, als Kirche bescheiden zu sein und sich nicht einzubilden, die Wege Gottes genau zu kennen. Pastor Eiwen jedoch hält „christliches Zeugnis“ gegenüber Juden für unaufgebbar. Mit Jesus Christus erhielte auch das jüdische Bekenntnis eine neue Qualität. So werden in seiner Gemeinde auch manche jüdische „Feste des Herrn auf messianischem Hintergrund“ gefeiert.
DIE GRENZEN DES ANDEREN RESPEKTIEREN
Für die praktische Theologin Heine gehen das Bewusstsein der Verbundenheit und der Respekt vor der Unterschiedlichkeit beider Bekenntnisse Hand in Hand. Eine Kirche, die aus dem christlich-jüdischen Dialog gelernt hat, „pflegt die Wurzel, aus der sie stammt. Wenn sie diese Wurzel ausreißen will, was sie über Jahrhunderte versucht hat, verdorrt sie selbst. Sie ist sich zugleich dessen bewusst, eine eigene Religion zu sein, da in ihrer Mitte der auferstandene Christus steht, und respektiert das Anderssein der Anderen. Sie dringt nicht ohne Einladung in das spirituelle Haus des Judentums ein und beraubt es auch nicht dessen, was ihm heilig ist.“ Für Heine kommt eine christliche Feier jüdischer Feste nicht infrage.
Jüdische Stimmen betonten, wie wertvoll es sei, einander (besser) kennen zu lernen, so Heine: „Es geht um Wissen voneinander, Einstehen füreinander und Zusammenarbeit in der Gestaltung des Lebens auf dieser Erde. Mit den Worten von Ernst-Ludwig Ehrlich: Das Leben wählen und gestalten.“
DIE VIELFALT SCHÄTZEN
Für den Kommunikationswissenschaftler Maximilian Gottschlich kann Dialog nur dann gelingen, „wenn er die Andersartigkeit des Anderen nicht nur respektiert, sondern ihn darin selbst fördert.“ Keine Religion hätte einen Monopolanspruch auf die Wahrheit – „die ist alleine Gott vorbehalten“. Gottschlich meinte: „Die Nachfolge Jesu beginnt in Jerusalem, nicht in Rom. Wer Jesus nachfolgen möchte, muss dem Juden Jesus nachfolgen.“ Die Versöhnung mit dem Judentum sei die zentrale spirituelle und ökumenische Herausforderung für Christinnen und Christen im 21. Jahrhundert. Auch für Gottschlich steht am Ende ein gemeinsames Handeln beider Bekenntnisse: Die Arbeit an der Erlösung der Welt. „Diese Aufgabe kann nur wahrgenommen werden, wenn das Christentum sich mit seiner eigenen Geschichte der Schuld gegenüber den Juden auseinandersetzt und erst so Versöhnung mit den ‚älteren Brüdern im Glauben’ möglich werden lässt“, so Gottschlich.

Markus Himmelbauer

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