TANACH – ALTES TESTAMENT: UNTERSCHIEDLICHE ZUGÄNGE ZU DEMSELBEN BUCH

Wien. Seit 2011 laden die THEOLOGISCHEN KURSE in Kooperation mit dem Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit hochkarätige Vortragende zum Tag des Judentums ein, den die christlichen Kirchen in Österreich jedes Jahr am 17. Jänner begehen.
2012 war es  gelungen, Rabbiner Walter Homolka aus Potsdam zu gewinnen, heuer kam Professorin Hanna Liss, Bibelwissenschaftlerin an der Hochschule für jüdische Studien in Heidelberg zu uns. Das war auch deshalb möglich, weil die katholisch-theologische und die evangelisch-theologische Fakultät als Mitveranstalter auftraten.
Am Vormittag des 17.01.13 hielt Frau Prof. Liss an der Universität Wien vor ungefähr 50 Personen eine Gastvorlesung zum Thema: „Wenn Religion auf Literatur trifft: Jüdische Bibelauslegung in Nordfrankreich im 11. und 12. Jahrhundert“. Darin zeigte sie auf, dass die Bibelkommentare der nordfranzösischen jüdischen Gelehrten die Hebräische Bibel als profane Literatur lasen. Sie nahmen die zeitgenössische altfranzösische Literatur auf, um eigene Geschichten fiktional zu gestalten.  Aus dieser Perspektive wird es möglich, jüdische Gelehrtentätigkeit stärker als die bisherige Forschung als integralen Bestandteil einer europäischen Bildungskultur anzuerkennen.
Am Nachmittag sprach Hanna Liss bei den THEOLOGISCHEN KURSEN vor 60 Teilnehmenden zum Thema „Hebräische Bibel, jüdische Bibel oder Altes Testament? Herausforderungen an eine jüdische Bibelwissenschaft heute“. Dabei schilderte sie die vielfältige innerjüdische Interpretation der hebräischen Bibel und skizzierte deren inneren und äußeren Herausforderungen. Das Christentum liest die Bibel in der griechischen Übersetzung. Bei der Interpretation geht es um die Entdeckung des Wortsinns. Das Judentum geht hier viel unbefangener an den Text heran, um im Prozess der Interpretation eine Fülle von Auslegungen zu entdecken. Für die christlichen Zuhörer und Zuhörerinnen überraschend war sicherlich auch die Aussage von Frau Liss, dass die Bibel als solche im Judentum eigentlich keine Rolle spiele. Wichtig sei vielmehr ihre Auslegung (etwa in Mischna und Talmud) und deren Anwendung auf das praktische Leben. Liss verdeutlichte dabei, wie aus der Reflexion der eigenen Überzeugungstraditionen eine Schärfung der exegetischen, religiösen und sozio-kulturellen Position des Judentums erwachsen konnte. In einem weiteren Schritt untersuchte sie dann das Verhältnis von konfessioneller jüdischer Bibelauslegung zu einer akademischen jüdischen Theologie. Damit wollte sie Perspektiven für eine jüdische Bibelwissenschaft auf der Höhe der Zeit aufzeigen.
In der Diskussion konnten im Gespräch mit den Teilnehmenden noch weitere Klärungen erreicht werden. Dabei wurden auch besonders die spezifischen Unterschiede zwischen einem christlichen und einem jüdischen Schriftverständnis deutlich. Beispielhaft soll hier die Frage nach den „10 Geboten“ erwähnt werden, die doch Juden und Christen gemeinsam sei? Die Antwort der Vortragenden: „Das Judentum hat 613 Gebote.“ So ergab sich eine anspruchsvolle, aber inhaltlich ungemein ergiebige und anregende Begegnung mit der jüdischen Bibel und ihrer Auslegung.
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Die Veranstaltung wurde gefördert aus den Mitteln der Stadt Wien – MA 7-Wissenschaft. Radio Stephansdom hat einen Mitschnitt des Vortrags und der Diskussion online gestellt.
Oliver Achilles

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