Himmelbauer, Markus und Zauner, Josef P. GUTER WILLE – EINGEFAHRENES DENKEN

Abschlussbericht zur Umfrage “Stereotypen über das Judentum in der Messliturgie und im Liedgut der römisch-katholischen Kirche aus der Sicht-weise der Seelsorgerinnen und Seelsorger“

Im Frühjahr 1999 verfasste Josef Peter Zauner eine theologische Diplomarbeit zum Thema “Das Judentum in der römischen Liturgie“ in deren Rahmen Stereotypen über das Judentum in der Liturgie aus der Sichtweise katholischer Seelsorgerinnen und Seelsorger erhoben wurden. Dieser Bericht fasst die Ergebnisse der Umfrage zusammen und versucht, Folgerungen für die notwendige Sensibilisierung zu diesem Thema zu ziehen. Eine Zusammenfassung der theologischen Grundlagen der Untersuchung wurde in der Zeitschrift “Dialog-Du Siach / christlich-jüdische Informationen“ Nr. 36 im August 1999 veröffentlicht: Josef Peter Zauner: Erstes Testament und Judentum in der römischen Liturgie.

Es sei an dieser Stelle all jenen gedankt, die durch die Rücksendung der Fragebögen die Auswertung ermöglichten. Das Projekt selbst entwickelte sich aus der engen Zusammenarbeit zwischen dem Institut für alttestamentliche Bibelwissenschaft und Judaistik an der Universität Salzburg (Vorstand und Betreuer der Diplomarbeit: a.o.Univ.Prof. Dr. Gerhard Bodendorfer) und dem Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Einen weiteren Beitrag zum Gelingen der Umfrage leisteten die Diözese Linz und die Erzdiözese Salzburg, die ihre Unterstützung für das Projekt durch Verfügungstellung der Adressen der einzelnen Seelsorge-rinnen und Seelsorger zum Ausdruck gebracht haben. Ein besonderer Dank gilt Diözesanbischof Dr. Egon Kapellari, dem Verantwortlichen der österreichischen Bischofskonferenz für liturgische Fragen, der durch ein empfehlendes Begleitschreiben die Umfrage befürwortet hat.

VORGANGSWEISE
Aus der theologischen Analyse in der Diplomarbeit und durch vorerst mündliche Befragung von Seelsorgerinnen und Seelsorgern ergaben sich Leithypothesen, aus denen 69 Fragen (Items) aufgestellt wurden. Diese Hypothesen sollten anschließend durch die schriftliche Umfrage verifiziert oder zurück gewiesen werden. Die Leithypothesen für den Fragebogen waren:

a Das Erste Testament sehen Seelsorger und Seelsorgerinnen als überholt und als bloße, minderwertige Vorstufe zum Zweiten “Neuen“ Testament an.

b Es besteht ein Zusammenhang zwischen dem “Verheißungs- und Erfüllungsschema“ und einer Auswahl der Lesungen für den Gottesdienst.

c Der Großteil der Seelsorgerinnen und Seelsorger sieht in den Darstellungen des Volkes Israel in der Liturgie keine Stereotypen über das Judentum.

d Das Thema Juden und Christen wird im Gottesdienst nicht angesprochen. Wenn diese Annahme zutrifft, steht das im Zusammenhang damit, weil Angst vor Widerständen in der Gemeinde bestehen.

e Jene, die bereits in Israel waren, haben für das Thema eine erhöhte Sensibilität, eine andere Einstellung.

f Bei der Mehrheit der Seelsorgerinnen und Seelsorger wird eine Stärkung des Dialogs zwischen dem Christentum und dem Judentum erwünscht.

g Ein befreiendes und liebendes Gottesbild wird dem Zweiten Testament zugeordnet, während dem Ersten Testament ein strafendes und vom Ge-setz eingeengtes Gottesbild bescheinigt wird.

h Die Neubewertung des Judentums in der Kirche, wie sie “Nostra Aetate“ fordert und von Papst Johannes Paul II immer wieder eingemahnt wird, beginnt zu greifen.

i Der Überbietungscharakter von Synagoge und Kirche ist bei der Mehrheit der SeelsorgerInnen noch immer vertreten.
Für die schriftliche empirische Umfrage wurden 2175 Fragebögen persönlich an Priester, Pastoralassistentinnen und Pastoralassistenten in Wien, Oberösterreich und Salzburg verschickt. Zurückgesendet wurden sie von 727 Personen, dies entspricht einer sehr guten Rücklaufquote von 34,16%.

FRAGEBOGEN
Der erste Block des Fragebogens beinhaltet Aussagen, die allgemein dem Judentum bzw. dem Alten Testament zugeordnet werden. Der zweite Teil geht der Frage nach, wie nach Meinung der bzw. des Befragten Textpassagen - aus dem Gotteslob oder aus dem Deutschen Messbuch - Israel als Gottesvolk ausschließen und nur die neutestamentliche Kirche als Volk Gottes preisen.
Der nächste Abschnitt umfasste Items, die sich mit der Liturgie und der Leseordnung der römischen Kirche auseinander setzen. Es wurden Sätze, wiederum aus dem Messbuch und aus dem Gotteslob, aufgegriffen um zu untersuchen, ob diese Sätze im Sinne eines Erfüllungsgedankens des Neuen Testaments gegenüber dem Alten Testament erfahren werden. Die Fragen (Items) konnten mit “trifft sehr zu“, “trifft zu“, “trifft eher nicht“ und “trifft gar nicht zu“ beantwortet werden.
Nach den abschließend erhobenen Sozialdaten konnten sich die Befragten bezüglich des christlich-jüdischen Dialoges selbst einschätzen.

ERGEBNISSE
In der Auswertung wurden die Skalen von “trifft zu“ und “trifft sehr zu“ als Zustimmung zusammengefasst, die Werte von “trifft eher nicht zu“ und “trifft gar nicht zu“ als Ablehnung gewertet. Von den Leithypothesen wurden a) und i) verworfen, knapp jedoch ist das Ergebnis bei i): der Überbietung Israels durch die Kirche stimmten immerhin noch 45% der Befragten zu. Alle anderen Hypothesen wurden bestätigt.

TRADITIONELLE ANTISEMITISCHE STEREOTYPEN
Die traditionell antisemitischen Stereotypen, etwa die Schuld der Juden am Tod Jesu oder ein “typisch jüdischer“ Umgang mit Geld bestehen heute praktisch nicht mehr. Nur 5,8% bzw. 6% stimmen diesen Aussagen zu, eher ältere Personen. Gar nur 1,9% der Befragten können sich ein Christentum ohne Bezug auf das Judentum vorstellen.
Aber: Immerhin befürchten 10% der Befragten Probleme von Seiten der Gemeinde, wenn sie über das Judentum predigten. Und sogar 24,3% vermuten antisemitische Tendenzen unter ihren Gemeindemitgliedern.

CHRISTLICH-JÜDISCHER DIALOG
Fast einhellig wurde der Aussage zugestimmt, das Christentum sei ohne seine jüdische Wurzel undenkbar. Mit überwältigender Mehrheit wurde auch die Bedeutung des christlich-jüdischen Dialogs für einen persönlich und auch für die Kirche unterstrichen: 95% wünschen sich einen vertieften Gedankenaustausch zwischen Judentum und Christentum und halten den christlich-jüdischen Dialog allgemein von großer Bedeutung. 83,5% der Befragten schätzen sich dafür als interessiert ein, für 81% ist der christlich-jüdische Dialog auch persönlich ein großes Anliegen.

BEWERTUNG DES ERSTEN TESTAMENTS
Dem großen Interesse am christlich-jüdischen Dialog steht jedoch die eher negative Bewertung des Ersten Testaments und des Judentums aus bibeltheologischer Sicht gegenüber: Mehr als zwei Drittel der Befragten (71,3%) sehen einen Gegensatz zwischen dem “Liebesgebot Jesu“ und dem “Gesetzesgehorsam“ des Alten Testaments , fast die Hälfte (44,6%) ist der Meinung, die Kirche des Neuen Testaments hätte Israel als Gottesvolk abgelöst. Rund ein Viertel (27,8%) ist der Ansicht, Jesus habe durch die Abendmahlsworte den Bund Gottes mit Israel aufgehoben und 23,5% der Befragten verstehen das Alte Testament lediglich als Vorstufe des Neuen. 31% sagen, dass Erstes und Zweites Testament nicht gleichbedeutend seien.

SENSIBILITÄT BEI TRADITIONELLEN LIEDTEXTEN
Der Befund ist jedoch uneinheitlich. Eine nicht unbedeutende Gruppe zeigt besondere Sensibilität für eine Abwertung Israels in traditionellen Liedtexten: Rund ein Drittel der Befragten gab anhand verschiedener Texte an, wenn Christen unreflektiert die Worte “Volk Gottes“ und “Neuer Bund“ gebrauchten, darin eine Ausgrenzung Israels zu erkennen. Besonders bei den beiden Liedern GL 639 “ Ein Haus voll Glorie schauet“ (1. und 2. Strofe) und GL 640 “Gott ruft sein Volk zusammen rings auf dem Erdenrund, eint uns in Christi Namen zu einem neuen Bund“. Fast 33 % sehen hier einen Ausschluss Israels als Gottes Volk.

BEWERTUNG
Die Ergebnisse skizzieren den Rahmen, in dem sich theologische Bildungsarbeit und Bemühungen um christlich-jüdische Verständigung zu bewegen haben. Allgemein gefragt, findet der christlich-jüdische Dialog große Zustimmung und macht keinerlei Probleme. Doch im Detail, dort wo es um die theologischen Konsequenzen aus dieser Neubewertung des Judentums geht, gibt es noch genügend Aufgaben für Bewusstseinsbildung in innerkirchlicher Aus- und Fortbildung. Ist doch der Gedanke der “Enterbung“ des Judentums, durch den der Glaube Israels in Jesus und durch die Kirche überboten, vollendet und abgelöst wird, immer noch weit verbreitet.

KATECHISMUS DER KATHOLISCHEN KIRCHE UND PAPST JOHANNES PAUL II.
Für Jesus, die Apostel und die ersten Gemeinden war aber das 'Alte' Testament ihre einzige Bibel und sie dachten nie daran, diese Offenbarung beiseite zu legen und durch etwas Neues zu ersetzen, wie die Bibelwissenschaft überzeugend darstellen konnte. Für uns heute gilt es, den eigenständigen Wert des Ersten Testaments wieder zu entdecken. Es zeigt sich, dass die konkreten Antworten und die Praxis weit hinter dem zurück bleiben, was auch von Papst Johannes Paul II. immer wieder eingemahnt wird, zuletzt in Yad Vashem, wenn er betont: “Juden und Christen haben ein gemeinsames geistliches Erbe, das aus der Selbstoffenbarung Gottes erwächst“.
Auch der Katechismus der Katholischen Kirche (KKK) hat eindeutig klargestellt: Der Jude Jesus hat die Tora positiv gewürdigt (423, 577). Gottes Bund mit den Juden ist “unwiderruflich“ (839-840, 2173). Der Neue Bund hat den “Ersten Bund“ weder aufgehoben noch ersetzt (522). “Der Alte Bund ist nie widerrufen worden“ (121). Leider steht dem gegenüber die Auswertung des Items “Gott setzt die Heilsgeschichte im heutigen Judentum nicht fort“, die von 26,8% der Seelsorgerinnen und Seelsorger zustimmend beantwortet wurde.
Es müsste Aufgabe der verantwortlichen Kirchenleitungen sein, hier durch aktive Bildungsarbeit auf allen Ebenen und durch Initiativen im Bereich der universitären Forschung bereits gewonnene Erkenntnisse einer Theologie der Erneuerung des christlichen Selbstverständnisses mit Bezug auf seine jüdische Wurzel breit bekannt zu machen.

SCHLÜSSELROLLE DER SONNTÄGLICHEN LITURGIE
Einer Schlüsselrolle kommt dabei der sonntäglichen Liturgie zu, stellt sie doch nach Ende des schulischen Religionsunterrichts für viele Menschen den einzigen Ort für theologische Reflexion und Bildung während vieler folgender Jahrzehnte dar. Zwar sehen 85% der Befragten “in den vorgeschlagenen Lesungen aus dem Alten Testament im zur Zeit gültigen Messlektionar die zentralen Aussagen des Alten Testaments enthalten“, doch konnten die Untersuchungen von Ansgar Franz zeigen, dass die verwendete Perikopenordnung entscheidende Schwachpunkte aufweist. Hier müssen Sensibilisierung und theologische Fortbildung bei den Seelsorgerinnen und Seelsorgern ansetzen.
Neben einer klareren Reflexion bei der Auswahl der liturgischen Texte sollte Bewusstseinsbildung bei den Liedern für den Gottesdienst erreicht werden. Diese Sensibilisierung muss erreichen, dass die Lieder GL 831 “Deinem Heiland, deinem Lehrer“, (besonders die Strofe 4 “... und der Wahrheit muss das Zeichen und die Nacht dem Lichte weichen und das Neue fängt nun an.“) und das Tantum ergo im GL 542 (“Das Gesetz der Furcht muss weichen, da der neue Bund begann; Mahl der Liebe ohnegleichen: nehmt im Glauben teil daran“) nicht unreflektiert verwendet werden. Sie sollten in der derzeitigen Textfassung überhaupt aus dem Liedschatz des Gotteslob gestrichen werden.

HEILSGESCHICHTLICHE ZEITGENOSSENSCHAFT MIT DEM JUDENTUM
Die Umfrage wurde bei der Tagung “Das Judentum in den christlichen Liturgien“ des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit vom 24. bis 26. Oktober 1999 in Eisenstadt vorgestellt. Die Diskussion verwies als weiteren Aspekt vor allem auf die Bedeutung der “heilsgeschichtlichen Zeitgenossenschaft“ mit dem Judentum. Es gelte, das heute lebendige Judentum in seinen Richtungen als eine konkrete und authentische Lebensform biblischer Spiritualität wahrzunehmen. Immerhin 26,8%, mehr als ein Viertel der befragten SeelsorgerInnen gab an, Gott setze seine Heilsgeschichte im heutigen Judentum nicht fort.
Es wird sich erst in der Praxis zeigen, ob die allgemein positive Haltung gegenüber dem christlich-jüdischen Dialog Impulse bieten kann, ihn konsequent weiter zu verfolgen, oder ob das Festhalten an traditionellen theologischen Aussagen den konkreten Erneuerungsprozess zu blockieren vermag. Zwar zeigen die Seelsorgerinnen und Seelsorger den Wunsch nach Vertiefung des christlich-jüdischen Gesprächs, doch gilt es dabei klar zu machen, dass der christlich-jüdische Dialog zuallererst ein Prozess der Erneuerung und Besinnung der Kirchen ist. jpz/ cfx 30.05.00

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