Franz Kangler CM EINE LANGE SCHMERZVOLLE GESCHICHTE
22/02/11 Predigt
Gedenkfeier zum Jom haSchoa in der Aschkenasi-Synagoge in Istanbul
2. Mai 2011
Sehr geehrter Herr Oberrabbiner, geschätzte Mitglieder der Jüdischen Gemeinde!
Ich spreche am heutigen Abend mit innerer Bewegung, weil ich weiß, dass es nicht selbstverständlich ist, dass Sie zur heutigen Gedenkfeier einen katholischen Priester, der noch dazu ein deutsch sprechender Österreicher ist, einladen.
Ich wurde 1950 geboren, einem Jahr, das nicht so weit entfernt ist vom schrecklichen Geschehen in Warschau. Und doch habe ich in meiner Kindheit und Jugend wenig von dieser Zeit, aber auch vom Judentum selbst gehört. Ich bin dabei in einer Tradition des Verdrängens aufgewachsen, in der man sehr gerne davon gesprochen hat, dass Österreich das erste Opfer Nazi-Deutschlands gewesen sei, und die vielen österreichischen Täter dieser Zeit nicht sehen wollte. Es hat einige Zeit gebraucht, bis in einem Teil meiner Heimat das Bewusstsein um gemeinsame Schuld, vor der man nicht davonlaufen darf, gewachsen ist.
2. Mai 2011
Sehr geehrter Herr Oberrabbiner, geschätzte Mitglieder der Jüdischen Gemeinde!
Ich spreche am heutigen Abend mit innerer Bewegung, weil ich weiß, dass es nicht selbstverständlich ist, dass Sie zur heutigen Gedenkfeier einen katholischen Priester, der noch dazu ein deutsch sprechender Österreicher ist, einladen.
Ich wurde 1950 geboren, einem Jahr, das nicht so weit entfernt ist vom schrecklichen Geschehen in Warschau. Und doch habe ich in meiner Kindheit und Jugend wenig von dieser Zeit, aber auch vom Judentum selbst gehört. Ich bin dabei in einer Tradition des Verdrängens aufgewachsen, in der man sehr gerne davon gesprochen hat, dass Österreich das erste Opfer Nazi-Deutschlands gewesen sei, und die vielen österreichischen Täter dieser Zeit nicht sehen wollte. Es hat einige Zeit gebraucht, bis in einem Teil meiner Heimat das Bewusstsein um gemeinsame Schuld, vor der man nicht davonlaufen darf, gewachsen ist.
Ähnlich ist es aber auch in der katholischen Kirche. Am gestrigen Sonntag haben wir den Abschluss der Osterwoche gefeiert, und unser Kantor hat einerseits den Psalm 118 gesungen, in dem es heißt:
„Danket dem Herrn, denn er ist gütig, denn seine Huld währt ewig.
So soll Israel sagen: Denn seine Huld währt ewig.
So soll das Haus Aaron sagen: Denn seine Huld währt ewig.“
Und ebenso habe ich bei der Bereitung von Brot und Wein gebetet:
„Gepriesen bist Du, Herr unser Gott, Schöpfer der Welt. Du schenkst uns das Brot, die Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit. Wir bringen sie vor Dein Angesicht.“
Wir stehen mit diesen Formen tief in der jüdischen Gebetstradition, die allerdings die meisten Christen kaum kennen.
Und dann hat es aber wieder gestern im Evangelium nach Johannes geheißen:
„Am Abend des ersten Tages der Woche befanden sich die Jünger hinter verschlossenen Türen aus Angst vor den Juden.“
Alle diese Jünger waren selbst Juden, wenn wir aber heute diesen Satz lesen, wird er ganz anders verstanden. Und dieses andere Verstehen wurde durch viele Jahrhunderte verstärkt und ist unbestreitbar mit ein Grund, dass in Europa so Schreckliches geschehen konnte.
Während unter Karl dem Großen unter den Franken noch eine gewisse Wertschätzung für die Juden zu finden war, entwickelte sich im Lauf der Kreuzzüge immer stärker eine Haltung der tiefen Feindschaft gegen das Judentum. Das wurde besonders auch in der künstlerischen Darstellung, etwa auf Kirchen, immer stärker ausgedrückt: Die Synagoge steht mit dem Teufel unter dem Kreuz, während die Kirche von Engeln begleitet ist. Ähnliche Gedanken finden sich in vielen Passionsspielen und werden so immer selbstverständlicheres Gedankengut von Christen.
Es ist unbestreitbar, dass dieser religiös-kirchliche Antijudaismus eine Wurzel für den späteren politischen und rassischen Antisemitismus wurde. Es ist notwendig, dass sich Christen dieser jahrhundertealten Schuld stellen, wenn sie mit der jüdischen Gemeinde wieder ins Gespräch kommen wollen.
Mit dem II. Vatikanischen Konzil hat die katholische Kirche versucht, eine neue Blickweise auf das Judentum für Christen vorzugeben.
Bedeutend war hier sicherlich auch die Gestalt von Papst Johannes XXIII., der als Giuseppe Roncalli zuvor in Istanbul tätig war. Er rief als Papst einer Gruppe besuchender Rabbiner zu: „Ich bin Josef, Euer Bruder.“
Christen bemühen sich heute um das Gespräch mit verschiedenen Religionen. Aber das Judentum kann für uns nichts Äußeres sein, weil es zum Inneren unserer Religion gehört. Kein Christ dürfte leugnen, dass Gott dieses auserwählte Volk mit einer unwiderruflichen Berufung erwählt hat.
Es ist eine lange schmerzvolle Geschichte, die vor dem Geschehen des heutigen Gedenktages steht und erst eine kurze Zeit des Nachdenkens und des Schmerzes auf Seiten der Täter. Es wird deshalb wohl noch längere Zeit brauchen, bis Juden nach all diesen Jahrhunderten Christen als jüngere Brüder im Glauben annehmen können.
Ich danke deshalb aus ganzem Herzen für die Möglichkeit, an diesem Abend vor Ihnen zu sprechen.
P. Franz Kangler CM ist ehemaliger Direktor des Österrreichischen St. Georgs-Kollegs und Superior der St. Georgs-Kirche in Istanbul.