KURT LÜTHI (1923-2010)
19/06/10 Persönlichkeiten
Professor Kurt Lüthi ist am 11. Juni 2010 im Alter von 86 Jahren verstorben. 1964 wurde er auf den Lehrstuhl für Systematische Theologie H.B. an die Evangelisch-Theologische Fakultät Wien berufen, wo er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1990 lehrte. Seit seiner Berufung nach Wien gehörte Lüthi in Österreich zu den prägenden Persönlichkeiten im ökumenischen Dialog, im Gespräch zwischen Theologie und Kunst, im christlich-marxistischen sowie im christlich-jüdischen Dialog. Mehr als zwei Jahrzehnte lang, von 1967 bis 1988 war Professor Lüthi Vorstandsmitglied im Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit und unterstützte durch seinen Einsatz die Anfangsjahre des christlich-jüdischen Dialogs.
Wir sind dankbar für seine tatkräftige und ideelle Begleitung der christlich-jüdischen Zusammenarbeit in Wien und behalten ihn im ehrenden Gedenken.
Im "Jüdischen Echo" 1997 formulierte Lüthi folgende "Postulate einer gemeinsamen christlich-jüdischen Praxis":
Im Zeichen eines "Vorrangs der Ethik" möchte mich für eine gemeinsame gesellschaftliche Praxis von Christen und Juden einsetzen. Ich glaube, diese gemeinsame Praxis könnte ein wichtiger Beitrag zur Gestaltung der Welt von heute bedeuten. Für dieses Postulat nehme ich Anregungen der "Theologie der Befreiung" auf. Diese Theologie hat für die Verbindung von Glauben und Handeln eine Methode der drei Schritte entwickelt: Analyse der Situation (mit humanwissenschaftlichen Mitteln) - biblische Perspektive - Handlungsanweisungen; die Handlungsanweisungen orientieren sich am programmatischen Schlagwort "Option für die Armen". Es geht damit um die Verantwortung des Glaubenden für die Zukurzgekommenen, für Ausgegrenzte, für Diskriminierte, für Verfolgte.
Ich möchte für eine gemeinsame Praxis von Juden und Christen folgende Sicht vertreten: Das Menschenbild schon des Ersten Testaments hat Konsequenzen für heutiges gesellschaftliches Handeln; es bedeutet den Einsatz für Demokratie, Menschenrechte und für den Frieden. Im Raum der europäischen Kirchen gibt es die Schlagworte "Gerechtigkeit", "Frieden" und "Bewahrung der Schöpfung" (jetzt ergänzt durch den Begriff der "Versöhnung"). Dieses Programm bedeutet eine Anknüpfung an die Begriffe der "zedaka" und des "schalom" im Ersten Testament.
Und weiter: Ich möchte in diesem Zusammenhang auch von einer gemeinsamen Messiashoffnung sprechen. Hier wären allerdings wieder Unterschiede zu berücksichtigen. Für Juden ist das Kommen des Messias etwas Zukünftiges, weil heutige gesellschaftliche Strukturen und das Reich des Messias auseinander klaffen; nur eine human gestaltete Welt könnte den Messias aufnehmen. Der Christ glaubt, dass Jesus der Christus sei und also als Messias schon einmal da war; allerdings müsste der Christ nun gesellschaftlich und "jesuanisch" handeln. Trotz dieser Unterschiede gibt es für Juden und Christen die messianische Sehnsucht als Verbesserung und Humanisierung der gesellschaftlichen Zustände. Ich sehe in dieser Konkretisierung des Messiasglaubens eine gemeinsame jüdisch-christliche Aufgabe.
aus: Kurt Lüthi, Nach der Shoah: Für und wider den Dialog, in: Das jüdische Echo 46 (1997), 131-137
Wir sind dankbar für seine tatkräftige und ideelle Begleitung der christlich-jüdischen Zusammenarbeit in Wien und behalten ihn im ehrenden Gedenken.
Im "Jüdischen Echo" 1997 formulierte Lüthi folgende "Postulate einer gemeinsamen christlich-jüdischen Praxis":
Im Zeichen eines "Vorrangs der Ethik" möchte mich für eine gemeinsame gesellschaftliche Praxis von Christen und Juden einsetzen. Ich glaube, diese gemeinsame Praxis könnte ein wichtiger Beitrag zur Gestaltung der Welt von heute bedeuten. Für dieses Postulat nehme ich Anregungen der "Theologie der Befreiung" auf. Diese Theologie hat für die Verbindung von Glauben und Handeln eine Methode der drei Schritte entwickelt: Analyse der Situation (mit humanwissenschaftlichen Mitteln) - biblische Perspektive - Handlungsanweisungen; die Handlungsanweisungen orientieren sich am programmatischen Schlagwort "Option für die Armen". Es geht damit um die Verantwortung des Glaubenden für die Zukurzgekommenen, für Ausgegrenzte, für Diskriminierte, für Verfolgte.
Ich möchte für eine gemeinsame Praxis von Juden und Christen folgende Sicht vertreten: Das Menschenbild schon des Ersten Testaments hat Konsequenzen für heutiges gesellschaftliches Handeln; es bedeutet den Einsatz für Demokratie, Menschenrechte und für den Frieden. Im Raum der europäischen Kirchen gibt es die Schlagworte "Gerechtigkeit", "Frieden" und "Bewahrung der Schöpfung" (jetzt ergänzt durch den Begriff der "Versöhnung"). Dieses Programm bedeutet eine Anknüpfung an die Begriffe der "zedaka" und des "schalom" im Ersten Testament.
Und weiter: Ich möchte in diesem Zusammenhang auch von einer gemeinsamen Messiashoffnung sprechen. Hier wären allerdings wieder Unterschiede zu berücksichtigen. Für Juden ist das Kommen des Messias etwas Zukünftiges, weil heutige gesellschaftliche Strukturen und das Reich des Messias auseinander klaffen; nur eine human gestaltete Welt könnte den Messias aufnehmen. Der Christ glaubt, dass Jesus der Christus sei und also als Messias schon einmal da war; allerdings müsste der Christ nun gesellschaftlich und "jesuanisch" handeln. Trotz dieser Unterschiede gibt es für Juden und Christen die messianische Sehnsucht als Verbesserung und Humanisierung der gesellschaftlichen Zustände. Ich sehe in dieser Konkretisierung des Messiasglaubens eine gemeinsame jüdisch-christliche Aufgabe.
aus: Kurt Lüthi, Nach der Shoah: Für und wider den Dialog, in: Das jüdische Echo 46 (1997), 131-137