Bibelessay zu Johannes 9,1-41
Am Beginn dieses Evangeliums nach Johannes über den Blindgeborenen steht die Frage: „Wer hat gesündigt?“ Diese Frage richtet die Aufmerksamkeit auf die Vergangenheit, ähnlich wie die Frage: „Wer war schuld?“
Der Blick auf die Vergangenheit wäre grundsätzlich berechtigt. Nicht nur wissenschaftlich ist klar, wie sehr etwa Verbrechen und Traumata nachfolgende Generationen belasten können.
Heilsames und Göttliches wirksam werden lassen
In dieser Erzählung spielt Jesus aber bei der Ausrichtung auf die Vergangenheit nicht mit, sondern er legt die Aufmerksamkeit auf die Zukunft mit den Worten „Die Werke Gottes sollen offenbar werden“. Es geht ihm darum, wie Gott das „Geheimnis des Lebens“ in schwierigen, ja aussichtslosen, Situationen wirksam macht. Vielleicht trifft das in ähnlicher Weise die jüdische Dichterin Mascha Kaléko in ihrem Gedicht „Die frühen Jahre“ über das Leben in der Fremde: „Auf nichts war Verlass / nur auf Wunder“.
Dann – so wird erzählt – macht Jesus aus Speichel und Erde einen Teig. Mit dieser Art Augensalbe bestreicht er die Augen des Blindgeborenen. Was für Menschen im 21. Jahrhundert als unhygienisch und unappetitlich gilt, war damals Standard in der medizinischen Behandlung von Augenkrankheiten. Jesus wird hier mit seiner heilsamen Praktik als Arzt präsentiert. „Auf nichts war Verlass / nur auf Wunder“.
„Licht der Welt“
Im weiteren Verlauf der Erzählung über die Frage: „Wer Jesus ist und wodurch er ermächtigt ist?“ kommt eine Polemik ins Spiel, die zu den dunklen Seiten des sogenannten Johannesevangeliums gehört. Im Evangelium nach Johannes steht: „Das Heil kommt von den Juden“ (Joh 4,22). Trotzdem werden „die Juden“ wiederholt als die Gegner Jesu dargestellt. Der „Jude Jesus“ in einen Gegensatz zu den Juden gebracht.
In dieser Erzählung erhalten die Pharisäer die Rolle, kein gutes Haar an Jesus zu finden. Für einige Pharisäer steht der Einsatz Jesu für das Leben im Widerspruch zum Schabbat-Gebot. Für andere ist er ein gewöhnlicher Sünder. Doch nicht nur zur Zeit Jesu war klar: „Leben zu retten ist auch am Schabbat geboten.“ In der Erzählung wird schließlich der Geheilte hinausgestoßen, also aus der Synagoge und der jüdischen Gemeinschaft ausgeschlossen.
Es gab Spannungen und Konflikte in der jüdischen Gesellschaft zwischen Jesus-gläubigen Juden und den anderen. Doch gerade das Evangelium nach Johannes, das Jesus als „Licht der Welt“ vor Augen führt, vermochte mit den Worten des österreichischen katholischen Theologen und Neutestamentlers, Markus Tiwald, „das hohe integrative Ideal Jesu nicht zu bewahren“, weil es zwischen Jesus von Nazareth und den Juden polarisiert.
Martin Jäggle ist Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit
Lebenskunst Sonntag, 19.3.2023, 7.05 Uhr, Ö1
Heilsames und Göttliches wirksam werden lassen
In dieser Erzählung spielt Jesus aber bei der Ausrichtung auf die Vergangenheit nicht mit, sondern er legt die Aufmerksamkeit auf die Zukunft mit den Worten „Die Werke Gottes sollen offenbar werden“. Es geht ihm darum, wie Gott das „Geheimnis des Lebens“ in schwierigen, ja aussichtslosen, Situationen wirksam macht. Vielleicht trifft das in ähnlicher Weise die jüdische Dichterin Mascha Kaléko in ihrem Gedicht „Die frühen Jahre“ über das Leben in der Fremde: „Auf nichts war Verlass / nur auf Wunder“.
Dann – so wird erzählt – macht Jesus aus Speichel und Erde einen Teig. Mit dieser Art Augensalbe bestreicht er die Augen des Blindgeborenen. Was für Menschen im 21. Jahrhundert als unhygienisch und unappetitlich gilt, war damals Standard in der medizinischen Behandlung von Augenkrankheiten. Jesus wird hier mit seiner heilsamen Praktik als Arzt präsentiert. „Auf nichts war Verlass / nur auf Wunder“.
„Licht der Welt“
Im weiteren Verlauf der Erzählung über die Frage: „Wer Jesus ist und wodurch er ermächtigt ist?“ kommt eine Polemik ins Spiel, die zu den dunklen Seiten des sogenannten Johannesevangeliums gehört. Im Evangelium nach Johannes steht: „Das Heil kommt von den Juden“ (Joh 4,22). Trotzdem werden „die Juden“ wiederholt als die Gegner Jesu dargestellt. Der „Jude Jesus“ in einen Gegensatz zu den Juden gebracht.
In dieser Erzählung erhalten die Pharisäer die Rolle, kein gutes Haar an Jesus zu finden. Für einige Pharisäer steht der Einsatz Jesu für das Leben im Widerspruch zum Schabbat-Gebot. Für andere ist er ein gewöhnlicher Sünder. Doch nicht nur zur Zeit Jesu war klar: „Leben zu retten ist auch am Schabbat geboten.“ In der Erzählung wird schließlich der Geheilte hinausgestoßen, also aus der Synagoge und der jüdischen Gemeinschaft ausgeschlossen.
Es gab Spannungen und Konflikte in der jüdischen Gesellschaft zwischen Jesus-gläubigen Juden und den anderen. Doch gerade das Evangelium nach Johannes, das Jesus als „Licht der Welt“ vor Augen führt, vermochte mit den Worten des österreichischen katholischen Theologen und Neutestamentlers, Markus Tiwald, „das hohe integrative Ideal Jesu nicht zu bewahren“, weil es zwischen Jesus von Nazareth und den Juden polarisiert.
Martin Jäggle ist Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit
Lebenskunst Sonntag, 19.3.2023, 7.05 Uhr, Ö1