CHRISTEN ALS BRÜCKENBAUER

„Meine Solidarität ist realistischer geworden“, meint der niederländische Theologe SIMON SCHOON zur jüdischen Dialogexpertin RACELLE WEIMAN. Ein Gespräch der Wochenzeitung DIE FURCHE über die Lage in Israel und den christlich-jüdischen Dialog.

DIE FURCHE: Die Gewalt im Nahen Osten nimmt kein Ende. Beeinflusst dies den christlich-jüdischen Dialog?
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SIMON SCHOON: Natürlich tut sie das, wir leben ja nicht außerhalb der Welt. Es ist nicht das Einzige, was den Dialog bestimmt, aber es ein wichtiger Kontext, in dem wir einander treffen und einander austauschen. Würden wir ihn ausklammern, wäre der Dialog irrelevant.
DIE FURCHE: Ist es für diesen Dialog wichtig, dass Christen mit den Juden in Israel solidarisch sind?
SCHOON: Es gibt unterschiedliche Arten des Dialogs. Wenn Nachbarn einander treffen, ist das etwas Anderes wie ein Kreis von Freunden;ich gehöre seit 25 Jahren zu einer Dialog-Gruppe in Amsterdam: Wenn man einander nahe ist, kann man über fast alles reden. Im institutionellen Dialog ist die Atmosphäre anders. Aber natürlich muss man alles aussprechen. Christen, Kirchen müssen Solidarität in dem Sinn zeigen, dass sie für das Recht auf einen jüdischen Staat stehen.Wenn sie ihre Solidarität bewiesen haben, dann haben sie natürlich die Möglichkeit, auch zu kritisieren. Das ist unter Freunden normal.

DIE FURCHE: Merken Sie diese Solidarität der Christen mit Israel?

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RACELLE WEIMAN: Das kann ich so nicht beantworten, denn es hängt vom Einzelnen, der einzelnen Kirche ab. Wir haben kürzlich 40 Jahre der Konzilserklärung Nostra Aetate gefeiert, in der die katholische Kirche ihr Verhältnis zum Judentum neu bestimmt hat: Nachdenkliche Christen haben eine enge Beziehung zu den Juden. Das Selbstverständnis des jüdischen Volkes geht mit einem starken, gesunden jüdischen Staat im Land Israel einher.Israel ist ein demokratischer Staat mit Redefreiheit, jeder von der extremen Rechten bis zur extremen Linken im Israel will Frieden, es ist am besten, mit den Nachbarn im Frieden zu leben. Aber diese Nachbarschaft ist sehr schwierig, denn es gibt viel mehr Einflüsse als bloß die Beziehung zwischen Israel und den Palästinensern – mögen die sich lieben oder nicht. Da ist etwa die fragile Situation mit dem Iran. Außerdem weiß man nach 9/11, dass sehr kleine Gruppen die Herzen und Hirne vieler enschen zerstören können. Wir leben in einem sehr gefährlichen neuen Jahrhundert.
Auf der anderen Seite sind wir in der globalen Welt einander so nah wie noch nie: Das Internet bringt Simon und mich täglich zusammen, wir können ein Gespräch führen, wie es nie zuvor möglich war.
DIE FURCHE: Was verbindet Christen und Juden?
WEIMAN: Es ist eine Tatsache, dass christliche Kirchen und viele Christen und Juden verstehen, dass wir eine einzigartige und besondere Beziehung haben: Juden und Christen teilen die Hebräische Bibel und die gemeinsame Geschichte. Wir sollten nicht zulassen, dass das durch die vielen Spannungen auf der Welt ausgehöhlt wird. Ich betone dabei, dass wir die Probleme auf unsere je eigene Art lösen müssen.
Der Staat Israel ist nicht verhandelbar: Heute leben dort sechs Millionen Juden. Diskutiert werden muss, welche Wege es gibt, die Konflikte anzugehen, wie ein Dialog entstehen kann.
SCHOON: Zurück zur Frage nach der Solidarität mit Israel: Ich kann das auf einer institutionellen Ebene beantworten – ich bin ja ein Pastor der reformierten Kirche und Theologieprofessor. Oder auf der persönlichen. Ich habe sieben Jahre in Israelin einem christlichen Kibbuz gelebt. Ich bin dort 1973 mitten im Jom-Kippurkrieg angekommen. Das Leben im Krieg war für mich ein Test für die Solidarität. Ich habe dort mit meiner Familie gelebt, mit jüdischen Nachbarn, Überlebende des Warschauer Gettos, und mit arabischen Nachbarn: Ich habe damals palästinensische Unruhen wegen der Konfiskation von Land miterlebt. Ich abe viele palästinensische und viele jüdische Freunde gewonnen.
Ich sah meine Aufgabe und die der Kirchen darin, in Solidarität in diesem Land zu leben – mit Juden und Palästinensern, durch Brückenbauen zwischen den verschiedenen Gruppen. So ist meine Solidarität realistischer geworden. Die palästinensischen Freunde haben mich gefragt, wie Juden denken, und umgekehrt.

DIE FURCHE: Und auf der Institutions-Ebene … SCHOON: … antworte ich, dass meine Kirche in ihre Ordnung geschrieben hat, dass wir als Kirchen mit dem jüdischen Volk in einen unauflöslich und unteilbar verbunden sind. Dazu müssen wir stehen. Dieser grundlegende Text wird durch die täglichen Ereignisse immer wieder in Frage gestellt, durch die Gewalt, durch den Terror. Wir müssen lernen, mit diesen Ereignissen zu leben, gleichzeitig aber im Gespräch zu bleiben und zu allen Seiten Kontakt zu halten.

DIE FURCHE: Christen im Nahen Osten gehören im Allgemeinen der palästinensischen Seite an. Macht das den christlich-jüdischen Dialog nicht schwieriger?

SCHOON: Die Hauptgruppe sind natürlich palästinensische Christen. Aber die sind auch in einer schwierigen Lage, denn sie sind eine Minderheit in der Minderheit der Araber. Sie können von uns Christen Freundschaft erwarten. Als westliche Christen sind wir in Israel in einer besonderen Lage.
Ich bin darüber schockiert, dass die meisten westlichen Christen meinen, komplett auf der einen oder der anderen Seite stehen zu müssen – 100 Prozent projüdisch oder 100 Prozent propalästinensisch. Das ist nicht gut. Denn sie müssen in Solidarität leben, und warum sollten sie nicht Freunde beider Seiten sein? Schalom für den Staat Israel heißt auch Schalom für die 20 Prozent Palästinenser, die innerhalb der Grenzen Israels leben. Westliche Christen sollten Brücken bauen, mit beiden Seiten mitleiden.
WEIMAN: Viele Menschen sehen nicht, dass beide Seiten leiden. Auch ich bin 1973 als Studentin nach Israel gekommen. Ich habe in Haifa in einem Haus gewohnt, wo zwei arabische Familien Seite an Seite mit jüdischen Familien lebten. Die Christen in Israel haben ernste Probleme, weil viele von ihnen zur arabischen Kultur gehören, die sie zum Panarabismus getrieben hat. Ich stimme Simon zu, dass Christen von außen sich am besten nicht auf eine der Seiten schlagen, sondern versuchen, Brücken zu bauen. Natürlich gibt es Dinge, die nicht verhandelbar sind: die Sicherheit und das Lebensrecht des jüdischen Volkes in Israel. Und die Ablehnung des Terrorismus: Niemand darf den Terrorismus rechtfertigen.
DIE FURCHE: Wer nach Israel fährt, entdeckt eine Menge Initiativen mit verschiedenem politischem und religiösem Hintergrund, die für Frieden arbeiten. Ich kenne kein Land, wo es so viele unterschiedliche Gruppen gibt, die sich für den Frieden engagieren. An jeder Straßenecke findet man sie. Aber diese Initiativen waren bis jetzt nicht erfolgreich.
SCHOON: Man kann diese Menschen als Tropfen auf den heißen Stein ansehen. Aber auch wenn all diese Gruppen winzig sind und wenig Einfluss haben, müssen sie weitertun. Es gibt auch auf palästinensischer Seite solche Initiativen, sie haben es noch schwerer – wegen der Machtverteilung zwischen der israelischen und palästinensischen Seite und aufgrund der, gelinde gesagt, nicht so demokratischen Situation in den Palästinensergebieten, weswegen die Palästinenser nicht so offen reden können. Es gibt also ein wenig Hoffnung: Auch wenn all diese Gruppen zur Zeit schwach sind und wenig Einfluss haben, bereiten sie den Boden für die Zukunft. Sie ziehen eine neue Generation heran. Daher glaube ich, dass es sich auszahlt, sie zu unterstützen.
Es ist eine Aufgabe der Kirche, diese Initiativen zu unterstützen – Versöhnung, das ist ein zu großes Wort, aber ein Beitrag um Dialog.
WEIMAN: Ja, Dialog! Denn immer wenn du den Anderen triffst, spürst du die Menschlichkeit des Anderen. Es gibt viele Basisaktivitäten, die ermutigt werden sollten.
SCHOON: Man muss aber auch sehen, dass sich diese Initiativen in den letzten Jahren verändert haben. Viele sind enttäuscht, dass so viele Chancen auf Frieden im letzten Moment zerstört wurden. Ich kenne viele Friedensaktivisten in Israel, die aufgehört haben, weil sie enttäuscht sind. Wir müssen die unterstützen, die weitermachen.
WEIMAN: Ja, man denke nur an den Camp-David-Prozess: Beide Seiten waren euphorisch – und dann brach alles zusammen, als Arafat den letzten Schritt nicht tun wollte. Man braucht einen ganz neuen Anlauf, junge Menschen, die wieder beginnen. Da ist es wichtig, Brückenbauer zu haben, die nicht nur den Standpunkt einer Seite einnehmen, sondern zeigen, dass es die Möglichkeit zum Frieden gibt.
DIE FURCHE 28/ 13. Juli 2006
Das Gespräch führte Otto Friedrich.
Bilder (2) Die Furche - Friedrich

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