GEMEINSAM LICHT GESUCHT UND GEFUNDEN Beobachtungen und Themen des christlich-jüdischen Dialogs

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Vor einem Jahr besuchte Papst Benedikt XVI. zum „Tag des Judentums“ die Synagoge in Rom. Das war ein wichtiges symbolisches Zeichen. Der Pontifex zitierte wie zu erwarten seinen Vorgänger, aber auch den Heiligen Paulus: „Das jüdische Volk besitzt ‚die Sohnschaft, die Herrlichkeit, die Bundesordnungen, ihm ist das Gesetz gegeben, der Gottesdienst und die Verheißungen, sie haben die Väter, und dem Fleisch nach entstammt ihnen der Christus’ (Röm 9,4–5), denn ‚unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt’ (Röm 11,29)“.
 
GRAMMATIKALISCHE FEINHEITEN
Dass ein Papst Paulus zitiert ist ja an und für sich nicht der Rede wert, wenn zwei Jahre zuvor die Bibelsynode in ihrem Abschlussdokument nicht ebenfalls Paulus zitiert hätte. Mit einem kleinen Unterschied: Jene sprach vom jüdischen „Volk, das von Gott all dies erhalten hat: ‚die Sohnschaft, die Herrlichkeit, die Bundesordnungen, ihnen ist das Gesetz gegeben, der Gottesdienst und die Verheißungen’“. Die Bibelsynode zitierte Paulus im Perfekt; der Apostel selbst schreibt im Präsens. Die US-amerikanischen Bischöfe waren 2008 an den Vatikan mit der Bitte herangetreten, die katholische Lehre durch die Streichung eines Satzes im Erwachsenenkatechismus zu präzisieren: „Folglich bleibt der Bund, den Gott mit dem jüdischen Volk durch Moses geschlossen hat, für sie ewig gültig.“ Mit römischer Approbation wurde diese Feststellung durch eine Formulierung ähnlich jener der Bibelsynode ersetzt.
Werden diese Aussagen nun im Licht der Worte von Benedikt XVI. in der römischen Synagoge revidiert?
 
ZEIT ZUR NEUVERPFLICHTUNG
Auf ökumenischer Basis werden die „Zwölf Thesen von Berlin“ weltweit diskutiert. 2009 mündete ein Diskussionsprozesses des Internationalen Rats der Christen und Juden ICCJ in einen Aufruf mit dem Titel „Zeit zur Neuverpflichtung“. Im Vorwort heißt es: „Wir begreifen die jüdisch-christlichen Beziehungen nicht als ‚Problem’, das es zu ‚lösen’ gilt, sondern vielmehr als fortdauernden Prozess des Lernens und Verfeinerns. Am wichtigsten ist vielleicht, dass wir zu Freundschaft und Vertrauen gefunden haben. Wir haben gemeinsam Licht gesucht und gefunden.“ Aus diesem optimistischen Geist wächst auch das Besondere an diesen Thesen: Alle bisherigen Erklärungen und Dokumente hatten sich vor allem an die christliche Gemeinschaft gerichtet. Die Zwölf Berliner Thesen sprechen Christen und die Kirchen sowie Juden und die jüdischen Gemeinschaften gleichermaßen an.
 
INTERRELIGIÖSE ERZIEHUNG
Natürlich geht es darin um den Kampf gegen den Antisemitismus und den Einsatz für Frieden und Verständigung in Israel als gemeinsame Aufgabe. Nun wird aber nicht nur den Christen die vertiefte Kenntnis des Judentums nahe gelegt, sondern auch die jüdische Seite soll sich mit dem Christentum beschäftigen. Als Folge des Dialogs mögen auch jüdische Texte und jüdische Liturgie überdacht werden.
Für die israelische Erziehungswissenschaftlerin Deborah Weissman, Präsidentin des ICCJ, ist interreligiöse Erziehung ein besonders wichtiger Punkt. „Die Größe Gottes zeigt sich auch in der enormen Vielfalt menschlicher Kultur und Erfahrungen“, sagt sie. Im Fall von Judentum, Christentum und Islam könne man durch den Anderen sich selbst mehr kennen lernen. „Wir lernen dadurch die grundlegende Wahrheit kennen, dass jeder Mensch nach dem Bilde Gottes geschaffen ist.“
 
STEREOTYPEN, ÜBERKOMMEN, ABER LEBENDIG
Wer mit offenen Augen durch die Welt geht, erkennt die Notwendigkeit des christlich-jüdischen Dialogs auch abseits der Kirchen: Da schreibt Hans Rauscher vom „alttestamentarisch durchgeknallten“ Pfarrer aus Windischgarsten, auch Hannes Androsch spricht im Standard-Interview vom „alttestamentarischen Hass“ Bruno Kreiskys. Michael Köhlmeier unterscheidet in der sommerlichen Festspielausgabe der Salzburger Nachrichten gar zwischen dem Gott des Alten Testaments und dem christlichen Gott: „Der christliche Gott … ist ein globaler Gott. Das ist die zweite ethische Revolution. ‚Liebe deinen Nächsten wie dich selbst’, sagt Jesus.“ Dies sei „der schönste Satz der Menschlichkeit, der je auf dieser Erde gesprochen wurde.“ Der Bibel-Erzähler Köhlmeier hat Leviticus (3. Buch Mose) 19,17-18 wohl überlesen.
Dieses Denken in traditionellen Gegensätzen zwischen Altem und Neuem Bund, zwischen Synagoge und Kirche, finden wir aktuell auch auf einer Wiener theologischen Website. Dieser Autor kennt Leviticus zwar, aber weiß dessen Botschaft dennoch zum Nachteil des Judentums auszulegen: „Zwar hatte auch schon das Alte Testament das buchstäbliche Liebesgebot, aber gewissermaßen nur als eine Verheißung. Denn der Geist ist erst durch Christus in unsere Herzen ausgegossen (und wenn jemand im AT den Geist hatte, dann nur um Christi willen und somit gehörte er zum NT).“

DER WERT DES ALTEN TESTAMENTS
Im „Garten der Religionen“ im Benediktinerstift Altenburg bei Horn kann man auch (ab Mai) 2011 wieder die Grundthemen des christlich-jüdischen Dialogs erwandern. Ein Ausstellungsweg stellt Eckpunkte des christlich-jüdischen Verhältnisses vor. Als Antwort auf die oben erwähnten Beispiele wird besonders auf die Bedeutung des Alten/ Ersten Testaments hingewiesen.
Der jüdische Tanach als Heilige Schrift Jesu und der frühen Kirche muss in seinem theologischen Wert entdeckt und ernst genommen werden. Niemand beginnt ein Buch im letzten Viertel zu lesen, man beginnt vorne. Die alte Kirche hat die jüdische heilige Schrift vollständig übernommen und an den Beginn der Bibel gesetzt, die eigenen neuen Schriften hinten daran angeschlossen. Damit hat sie auch eine Leserichtung vorgegeben, die wichtig ist für das Verständnis des Schlusses.
 
LERNEN VON JÜDISCHER SCHRIFTAUSLEGUNG
Am 30. September 2010 veröffentlichte Benedikt XVI. das nachsynodale Schreiben „Verbum Domini“ zur Bibelsynode 2008. Er erinnert an die Einladung eines Rabbiners, „um von ihm ein wertvolles Zeugnis über die heiligen Schriften der Juden zu erhalten, die auch Teil unserer Heiligen Schrift sind.“ Auch in der Synagoge sah Papst Benedikt es als Geschenk, „unsere Auslegung der Heiligen Schrift mit den fruchtbaren Schätzen der jüdischen exegetischen Tradition zu bereichern“. Die Mitgliederzeitschrift „ypsilon“ der Katholischen Männerbewegung zeigt konkret, wie das sein könnte: Eine laufende Serie zu den Zehn Geboten wird von einem jüdischen Autor verfasst. Mag sein Zugang auch fremd und ungewohnt sein. Es ist ein Versuch und als solcher schon längst von der Kirche empfohlen.

Markus Himmelbauer
Der Autor ist Geschäftsführer des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit

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