CHRISTEN UND JUDEN

Die nachkonziliaren Bemühungen um die christlich-jüdische Begegnung in Österreich erhielten durch die Synode der Erzdiözese Wien 1970-1971 eine starke Bekräftigung. Die zweite Session der Synodalversammlung nahm am 23. Oktober 1970 einen Text an, den der Wiener Erzbischof Franz Kardinal König promulgierte und so mit dem Charakter der Verbindlichkeit versah.

LEITSÄTZE

1. Die Kirche anerkennt das Alte Testament ebenso wie das Neue Testament als Anrede und Weisung Gottes. Das Neue Testament ist nur auf dem Hintergrund des Alten Testaments voll verstehbar. Das Alte Testament ist nicht nur Vorbereitung auf das Neue Testament, sondern besitzt auch einen religiösen Eigenwert. Deshalb ist die Heilsbotschaft des Alten Testamentes im theologischen Denken und für das religiöse Leben der Gemeinden heranzuziehen und auszuwerten.
2. Christen und Juden sind Zeugen des lebendigen Wortes Gottes und des Heilswirkens Gottes geworden. Sie sind deshalb verantwortliche Zeugen der Offenbarung Gottes vor der Welt.
3. Existenz und Geschichte des Judentums sind (nach Röm 9-11) für die Christen ein Heilsmysterium, daher müssen die Christen die Existenz auch des heutigen Judentums heilsgeschichtlich verstehen.
4. Mit sicherem Glauben halten wir fest, dass der Neue Bund in Christus die Verheißungen des Alten Bundes nicht außer Kraft gesetzt hat, wie der Apostel Paulus im 11. Kapitel des Römerbriefes sagt (besonders Vers 1, 26 und 28). Im Lichte dieses Textes sind auch alle übrigen sich auf Israel beziehenden Stellen des Neuen Testaments sachgemäß zu interpretieren. Es ist uns Christen nicht erlaubt, die Juden zwar als ursprünglich auserwähltes, dann aber endgültig verworfenes Gottesvolk anzusehen.
5. Christen und Juden verbindet die gemeinsame Hoffnung auf die volle Offenbarung des Reiches Gottes. Es verbindet sie aber auch die Auffassung des Menschen als eines Ebenbildes Gottes und das Streben nach einer Weltbewältigung aus religiösem Geist.
RESOLUTIONEN

1. Die reichere Verwendung alttestamentlicher Texte in der neuen Perikopenordnung soll für das bessere Verständnis des Alten Testamentes durch die Gläubigen genützt werden. Deshalb soll eine sachgerechte Einführung in die vielfach unbekannte religiöse Welt dieser Texte geboten werden. Keinesfalls aber dürfen die alttestamentlichen Texte grundsätzlich oder regelmäßig ausgelassen werden.
2. Im Unterricht, in den Lehrbüchern und Lehrbehelfen für den Religionsunterricht sollen nicht nur unrichtige Aussagen über das jüdische Volk vermieden, sondern auch die scheinbar negativen Aussagen der Schrift im Lichte der paulinischen Theologie (cf. Leitsatz 4) erklärt werden. Ebenso soll der religiöse Gehalt des Alten Testamentes herausgestellt und damit die Bedeutung Israels als des Bundespartners Gottes positiv dargestellt
EMPFEHLUNGEN

1. Die Beschäftigung mit dem Alten Testament im Verlauf des Theologiestudiums und die dadurch gewonnenen exegetischen Erkenntnisse sollen für eine umfangreichere Verwendung des Alten Testamentes in Predigt, Katechese und Liturgiefeier fruchtbar gemacht werden.
2. Die von der Konzilserklärung „Nostra Aetate“ (Artikel 4, Absatz 5) angeregten gemeinsamen Studien könnten durch Gastvorlesungen jüdischer Theologen an der theologischen Fakultät und durch Intensivierung judaistischer Studien seitens der Theologiestudenten verwirklicht werden.
3. Den Institutionen der katholischen Erwachsenenbildung in der Erzdiözese Wien wird empfohlen, die Beschäftigung mit den Themen „Altes Testament“ und „Judentum“ zu intensivieren.
4. Alle Verantwortlichen sollen die Gläubigen dazu auffordern, eine Ausgabe der gesamten Heiligen Schrift zu besitzen.
5. Die Psalmen sollen als biblische Gebetstexte bei den Gottesdiensten und in den diözesanen Lied- und Gebetbüchern nicht zurückgedrängt, sondern vielmehr verwendet und dem Verständnis der Gläubigen nähergebracht werden.
VOTUM

Die Synodalversammlung empfiehlt dem Herrn Kardinal, folgenden Beschluss der Wiener Diözesansynode an die Kirchliche Zentralstelle für Unterricht und Erziehung in Österreich heranzutragen und sich für seine Verwirklichung einzusetzen: Katechetische und religionspädagogische Lehrbücher und Lehrbehelfe sollen künftig einer eigenen Arbeitsgruppe innerhalb des österreichischen Katholischen Bibelwerks zur Stellungnahme vorgelegt werden.
APPELL

Es widerspricht der Lehre der Kirche Christi (cp. Vaticanum II, Nostra Aetate, Artikel 4), die den Juden durch Jahrhunderte von Christen und Nichtchristen zugefügten Leiden und Demütigungen als Folge einer Verstoßung durch Gott zu deuten. Daher müssen sich alle Christen von antijüdischen Affekten freihalten und etwaigen antisemitischen Diskriminierungen seitens anderer entgegentreten. Die Kirche von Wien erwartet von den Katholiken, dass sie nichts unversucht lassen, um die zwischen ihnen und den Juden bestehende und durch traditionelle Missverständnisse genährte Entfremdung zu überwinden.

Wortlaut in: Leben und Wirken der Kirche von Wien. Handbuch der Synode 1969-1971, Wien o. J. (1971), 235f.

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