Himmelbauer, Markus JUDENTUM - WURZEL CHRISTLICHEN GLAUBENS

Weltweit begehen die Kirchen vom 18. bis 25. Jänner die „Woche der Einheit der Christen“. Vor aller Verschiedenheit der Kirchen untereinander steht aber das allen gemeinsame Fundament: Der 17. Jänner als „Tag des Judentums“ soll die jüdische Wurzel christlichen Glaubens bewußt machen. Der christlich-jüdische Dialog ist das elementare Thema für die Identität der Kirchen. Wer Psalmen betet, betet jüdische Gebete. Christinnen und Christen haben keinen beliebigen, sondern diesen bestimmten Wurzelgrund. Gott hat es gefallen, Israel zuerst und bleibend anzusprechen. Namen und Worte wie Abraham, Sarah, Hagar, Mose, Miriam, Jerusalem, Gerechtigkeit, Frieden, Reich Gottes, Messias sind nicht auswechselbar. Doch diese unverwechselbaren Identitäten stehen nicht für sich allein: Von Anfang an hat die Offenbarung Gottes an Israel einen weiten Horizont: Das biblische Verständnis von Schöpfung und Vollendung der Welt ist auf alle Menschen ausgerichtet.
BIBEL IST NICHT TEILBAR
Ab 2000 soll der „Tag des Judentums“ auch in Österreich begangen werden. Der Ökumenische Rat der Kirchen greift dabei eine Anregung der 2. Europäischen Ökumenischen Versammlung 1997 in Graz auf. Das christliche Bekenntnis soll verstärkt aus seiner jüdischen Quelle verstanden werden. Oft wird dieser Ursprung vergessen, manchmal wird er bewußt abgelehnt.
Im Jahr 144 trafen die Christinnen und Christen von Rom eine folgenschwere Entscheidung: Sie schlossen Markion aus ihrer Gemeinde aus. Er hatte eine „rein christliche“ Bibel zusammengestellt: In ihr fehlte das Alte Testament, er „reinigte“ auch das Neue Testament von allen – wie er meinte – jüdischen Elementen. Für Markion war der Gott der Juden ein böser Gott. Er vertrat eine strikte Trennung von „jüdischem Gesetz“ und „Evangelium“.
Die Tragweite dieser Exkommunikation kann nicht überschätzt werden. Die Kirche sagte ja zum Alten Testament und betonte dessen Einheit mit dem Neuen Testament. Diese Verbindung unterscheidet das Verhältnis von Christentum und Judentum gänzlich von den Beziehungen zu anderen Religionen: Israel ist der „ältere Bruder“, die „Wurzel“ aus der die „Zweige“ des Christentums wachsen, von der es getragen und genährt wird.
Die besondere Beziehung von Kirche und Synagoge wächst aber auch aus der jahrhundertelangen unheilvollen Geschichte. Die Rollen waren klar verteilt: Christen waren die Täter, welche Juden ausgegrenzt, verfolgt und vernichtet haben. Es ist eine beschämende Erkenntnis, daß es der Katastrophe der Schoa bedurfte, um einen tiefgreifenden christlich-jüdischen Verständigungsprozeß in Gang zu bringen.

EIN GEMEINSAMER GOTT
Zwei Punkte müssen wir in diesem Prozeß der Aussöhnung in Erinnerung behalten: Wir beschäftigen uns dabei vordringlich mit der Erneuerung der eigenen, christlichen Identität. Sie soll ihr Selbstbewußtsein nicht mehr in der Entwertung ihrer Wurzeln finden. Und wir müssen uns bewußt sein, daß zwischen Judentum und Christentum ein ungleiches Verhältnis besteht. Das Judentum kommt in seinem Selbstverständnis ohne Bezug auf das Christentum aus, das Christentum jedoch lebt aus der Quelle des Judentums. Ziel ist eine tragfähige Basis, auf der Menschen beider Religionen einander im Bekenntnis des Glaubens an den gemeinsamen Gott aus ihren jeweiligen Traditionen unterstützen.
Dr. Markus Himmelbauer, Leiter des Christlich-Jüdischen Informationszentrums, Wien

ZUM WEITERLESEN:
• Rolf Rendtorff, Christen und Juden heute: neue Einsichten und neueAutgaben, NeukirchenerVerlag 1998.
• Arnulf H. Baumann (Hg.), Was jeder vom Judentum wissen muß, GTB 1063(8)1997.


ZUR SERIE
Vom 18. bis 25. Jänner begehen die Kirchen weltweit die „Gebetswoche für die Einheit der Christen”. In manchen Ländern, so in Polen undItalien, hat bereits der Tag davor eine besondere Bedeutung: Dort ist der 17. Jänner der „Tag des Judentums”, an dem sich die Christinnen und Christen auf die jüdische Wurzel ihres Glaubens besinnen. Das Datum ist nicht ohne Grund gewählt: Vor den Verschiedenheiten der Kirchen untereinander steht das allen gemeinsame Fundament im Judentum.

DIALOG GEFRAGT
Die Kirchenzeitung will in den nächsten Wochen besonders dem Auftrag zu christlich-jüdischer Verständigung dienen: Erstmals in Österreich informiert eine Serie auf breiter Basis über die Grundlagen einer erneuerten Beziehung zum Judentum. Fachleute aus ganz Österreich bieten dazu Impulse aus ihrem Arbeitsgebiet.
Der Themenbogen spannt sich von der Richtung weisenden Konzilserklärung „Nostra Aetate“ bis zur Bedeutung des Alten Testaments für uns heute, vom Streit um Jesus bis zu Elementen einer „Theologie nach Auschwitz”. Praktische Anregungen für Liturgie und Religionsunterricht runden die Serie ab. Ausschnitte aus kirchlichen Stellungnahmen dokumentieren den Stand des christlich-jüdischen Gesprächs. Literaturhinweise in den einzelnen Themenbereichen wollen Hilfen für die Pfarrbibliothek oder das eigene Studium bieten.
Diese Serie entsteht in Zusammenarbeit mit dem „Koordinierungsausschuß für christlich-jüdische Zusammenarbeit“, 1180 Wien, Gentzg. 14/5,Tel./Fax 0l/ 4797376.
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