GEDENKEN AN DEN EINSATZ DER BULGARISCH-ORTHODOXEN KIRCHE FÜR DIE JUDEN WÄHREND DER SCHOA

Wien. Festakt im Wiener Bulgarischen Kulturinstitut aus Anlass des 70. Jahrestages der Rettung der bulgarischen Juden vor der Deportation 1943.  – Haltung der orthodoxen Kirche war „ausschlaggebend"
bulgarien2

Die Haltung der bulgarisch-orthodoxen Kirche und des bulgarischen Volkes angesichts der Schoa würdigte der Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Prof. Martin Jäggle, am 13. Mai 2013 bei einem Festakt im Wiener Bulgarischen Kulturinstitut aus Anlass des 70. Jahrestages der Rettung der bulgarischen Juden vor der Deportation 1943. Die bulgarische Botschafterin Elena Radkova Shekerletova betonte, dass niemand „wegschauen" dürfe, wenn Menschenrechte, Demokratie, Freiheit, Gerechtigkeit bedroht seien. 1943 habe die damalige, mit NS-Deutschland verbündete Regierung zwei Mal die Deportation der jüdischen Bürger des Landes vorbereitet, diese Pläne seien aber durch den entschiedenen Widerstand der Zivilgesellschaft, vor allem durch das „klare Engagement der bulgarisch-orthodoxen Kirche", aber auch der Organisationen von Rechtsanwälten, Ärzten, Schriftstellern usw. verhindert worden. In den Vorgängen von damals sei auch ein Beispiel für heute enthalten.
bulgarien5
Das Bild oben zeigt v.l.n.r.: IKG-Vizepräsident Johnny Dawaraschwili, IKG-Präsident Oskar Deutsch, Botschafter Aviv Shir-On, Botschafterin Elene Shekerletova, Koordinierungsausschuss-Präsident Martin Jäggle.
Der israelische Botschafter Aviv Shir-On sagte, dass die Haltung der orthodoxen Kirche „ausschlaggebend" für die Rettung der bulgarischen Juden war. Die beiden Metropoliten Stefan und Kyrill hätten sich persönlich eingesetzt, Metropolit Kyrill von Plovdiv habe sogar angekündigt, dass er sich auf die Schienen legen würde, um die Abfahrt der Deportationszüge zu verhindern. Wörtlich meinte der Botschafter: „Die Metropoliten haben durch ihr beispielhaftes Verhalten ein Zeichen für die Gläubigen gesetzt. Alles ist möglich, wenn man an Gott und an das Gute im Menschen glaubt".
bulgarien3_tzvetkov
METROPOLIT STEFAN: JUDEN SIND BRÜDER
Der an der Neuen Bulgarischen Universität in Sofia lehrende Historiker Plamen Tzvetkov wies in seinem Referat daraufhin, dass die bulgarisch-orthodoxe Kirche von Anfang an eine Gegnerin der Annäherung an das Dritte Reich war, wie sie vom seit 1935 autoritär regierenden Zaren Boris III. angestrebt wurde. Das habe auch für das am 24. Dezember 1940 beschlossene „Gesetz zum Schutz der Nation" gegolten, mit dem die antisemitischen Maßnahmen eingeleitet wurden. Metropolit Kyrill habe bereits 1938 ein Buch gegen den Antisemitismus veröffentlicht, im September 1942 habe dann Metropolit Stefan mit seinen Predigten gegen die Judenfeindschaft in Regierungskreisen verärgerte Reaktionen ausgelöst. Der Metropolit sagte damals, die bulgarischen Christen sollten die Juden als ihre Brüder betrachten.
I
bulgarien1
m Februar 1943 drängten die Deutschen dann auf die Deportation der bulgarischen Juden ins besetzte „Generalgouvernement", d.h. in die Vernichtungslager. Am 9. März 1943 verhinderte der stellvertretende Parlamentspräsident Dimitar Peschew die Abfahrt der ersten Deportationszüge, er verfasste ein Manifest an den Zaren zur Beendigung der antisemitischen Maßnahmen, das von 42 weiteren Abgeordneten unterzeichnet wurde. Am 2. April 1943 tagte in Sofia der Heilige Synod der bulgarisch-orthodoxen Kirche, wobei die Metropoliten Stefan und Kyrill – aber auch die anderen Synodalen - klar herausarbeiteten, dass die antijüdischen „Maßnahmen" gegen Gerechtigkeit und Menschlichkeit verstießen. Die Metropoliten übermittelten einen entsprechenden Brief an den Zaren und unterstrichen, dass die Kirche jeglichen Rassismus ablehnt.
bulgarien6
Am 24. Mai 1943 wandte sich Metropolit Stefan von Sofia, nachdem er noch eine Delegation von Vertretern der jüdischen Gemeinde empfangen hatte, unmittelbar an Boris III. und forderte ihn auf, die Deportationen unverzüglich auszusetzen, da diese in fundamentalem Gegensatz zur traditionellen Toleranz der Bulgaren stünden. Im Übrigen würde auch Gott ihn für seine Taten zur Rechenschaft ziehen. Prof. Tzvetkov: „Die meisten Bulgaren haben damals einfach wie normale Menschen reagiert". Aus dem eigentlichen Bulgarien sei kein einziger Jude in die Lager deportiert worden, wohl aber aus den von Bulgarien annektierten Gebieten (dem zuvor jugoslawischen Mazedonien und dem zuvor griechischen Westthrakien). Den dortigen Juden sei sofort nach der Besetzung durch Bulgarien die Annahme der bulgarischen Staatsbürgerschaft verwehrt worden, sie wurden den Deutschen ausgeliefert.
bulgarien4
Metropolit Stefan wurde 1945 zum Exarchen der bulgarisch-orthodoxen Kirche gewählt, aber 1948 auf Druck des damaligen KP-Regimes abgesetzt, Metropolit Kyrill wurde nach Wiederherstellung des Patriarchats 1953 zum ersten bulgarischen Patriarchen der Neuzeit gewählt.
Der Festakt im Bulgarischen Kulturinstitut wurde abgeschlossen mit einem viel akklamierten Konzert der Zwillinge Alexander und Konstantin Wladigeroff (Enkel des bedeutenden Komponisten Pantscho Wladigeroff), die in ihrer Musik Jazz, klassische und ethnische Elemente zusammenfügen.
Erich Leitenberger. Pro Oriente Bilder: Bulgarisches Kulturinstitut, Haus Wittgenstein

Wir verwenden Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf unsere Website zu analysieren. Unser Datenschutz.