Arnbom, Marie-Theres „GRÜSS MICH GOTT!“

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Was erinnert heute noch an Fritz Grünbaum, diesen vielleicht bedeutendsten österreichischen Kabarettisten der Zwischenkriegszeit, Operetten-, Revue- und Drehbuchautor, Bühnen- und Filmschauspieler? Ein Flakturm im 6. Wiener Gemeindebezirk, der die Adresse Fritz Grünbaum-Platz 1 trägt. Eine Gasse in Wien-Süßenbrunn im 22. Bezirk. Eine fehlerhafte Gedenktafel am Kabarett Simpl. Einige wunderbare Werkausgaben und ein Lebensbild von Hans Veigl, das anlässlich des 60. Todestages von Fritz Grünbaum im Jahr 2001 erschien, geben uns eine Ahnung, wer dieser große Künstler war. 1998 geriet Fritz Grünbaum wieder in die Schlagzeilen, jedoch nicht auf Grund einer “Wiederentdeckung“, sondern auf Grund der Streitigkeiten um die ungeklärten Besitzverhältnisse eines in den USA beschlagnahmten Schiele-Bildes aus seinem Nachlass.
Fritz Grünbaums Lebensweg begann in der mährischen Hauptstadt Brünn im Jahre 1880. Dort verlebte Franz Friedrich, wie sein Vorname offiziell lautete, mit seinen Eltern, Brüdern Rudolf und Paul und seiner Schwester Lilly eine unbeschwerte Jugendzeit. In „Das Baby Grünbaum“ lässt uns Fritz Grünbaum an seinen Anfängen teilhaben:
“Achtzehnhundertachtzig, am sieb’ten April, Montag, wenn man’s genau wissen will, Hab’ ich, vom Schöpfer der Erde geschickt, Wie man sagt, “das Licht der Welt erblickt. [...] Doch als man dann schließlich zu End’ hat gerauft, Hat man mich feierlich ’Friedrich’ getauft. Das heißt, ’getauft’ ist nicht richtig zu sagen, Man gab mir einfach den Friedrich zu tragen. Man gab mir den Namen nach unseren Sitten, Das heißt, man hat mir – die Sache beschnitten, Versteh’n Sie mich richtig, das ist kein Witz, Man hat mir verkürzt den ’Friedrich’ in ’Fritz’.“
Nach der Matura verließ Grünbaum seine Heimatstadt und brach in die Reichshaupt- und Residenzstadt Wien auf. Er inskribierte am 4. Oktober 1899 an der Juridischen Fakultät der Universität Wien (1). In seiner gestochen scharfen Handschrift, die er bis zum Ende behalten sollte, füllte er die wesentlichen Details aus: Als Beruf des Vaters gab er “Kunsthändler“ an, seine erste Adresse in Wien war Czerningasse 4 im 2. Wiener Gemeindebezirk, wo fast alle jüdischen Zuwanderer landeten. Grünbaum schloss sein Studium am 31. Juli 1903 mit der Ausstellung des Absolutoriums ab. Dies entspricht dem heutigen Magisterium, war also ein gültiger Studienabschluss, der jedoch keinen offiziellen Titel mit sich brachte. Für ein Doktorat, die Voraussetzung einer Rechtsanwaltskarriere, waren Rigorosen notwendig. Um beispielsweise in den Staatsdienst einzutreten, genügte es jedoch, das Studium absolviert zu haben.
Victor Wittner, Chronist berühmter Zeitgenossen, berichtet über Grünbaums weiteren Berufsweg: “Und nun erfährt man, daß er zwischen Matura und Staatsprüfung Journalist war in seiner Heimatstadt; daß er fast bei der Finanzprokuratur und beinahe bei der Wiener Polizei gelandet wäre, nicht als Wachmann, sondern als juristischer Fachmann, und daß er schließlich nur aus Zufall und Gage ein Lachmann geworden ist; man erfährt, daß Grünbaum eine verdächtige literarische Vergangenheit hat, indem er – ein Student – zu Brünn eine Neue Akademische Vereinigung für Kunst und Literatur gründete und Dichter wie Schnitzler, Halbe, Altenberg, ja sogar Liliencron, als Gäste nach Brünn brachte, ja persönlich einführte und einleitete.“(2 )
Am 19. Oktober 1903 las Arthur Schnitzler im kleinen Festsaal des Deutschen Hauses in Brünn. Dieser Lesung war eine lange Vorbereitungszeit vorausgegangen, bereits am 10. Februar hatte Fritz den ersten Kontakt zu Schnitzler hergestellt: An “Euer Wolgeboren, sehr geehrter Herr“ ist der erste Brief im Namen der “Neuen akademischen Vereinung“ gerichtet, der von einem erstaunlichen Selbstbewusstsein zeugt. Schnitzler hatte bereits eine abschlägige Antwort gegeben, doch so leicht ließ sich Fritz Grünbaum nicht abwimmeln. Und er trug dick auf: “Die wenigen großen Österreicher auf dem Parnaß, die wir besitzen, möchten wir doch gerne an unserem Vortragstische begrüßt haben.“ Nach ein paar Höflichkeitsfloskeln formulierte Fritz aber noch einmal ohne Scheu: “Ohne Ihnen gerade eine Zusage erpressen zu wollen, bitten wir uns eine Erledigung unseres Ansuchens in affirmativer Gestalt.“ (3)
Wien
In Wien verkehrte Fritz in einem Kreis von Schauspielern und wurde Conférencier des neuen Kabaretts Hölle. Diesem Etablissement im Souterrain des Theaters an der Wien, das am 7. Oktober 1906 mit Grünbaums erste Operette Phryne (4) eröffnet wurde, sollte Grünbaum die nächsten Jahrzehnte innig verbunden bleiben. In der Hölle “geschah es einmal, daß ein junger österreichischer Offizier, der in der ersten Reihe saß, während eines Grünbaum-Vortrages eine laute antisemitische Bemerkung machte, die weder der Vortragende noch die Umsitzenden überhören konnten. Grünbaum brach seinen Vortrag ab, stieg vom Podium und klatschte dem Offizier eine Ohrfeige ins Gesicht. Auch dies war weder zu übersehen noch zu überhören und der Geohrfeigte räumte den Platz.“(5) Dieser Vorfall des Jahres 1907 blieb für Fritz Grünbaum jedoch nicht ohne Folgen: “Es muß in Wien jedem bekannt sein, daß ich mich daraufhin mit dem Offizier im Reitlehrinstitut Ungargasse auf Säbel und Pistolen duelliert habe und verwundet wurde.“(6)
1907 gelang Grünbaum der Sprung nach Berlin – bemerkenswert, dass ein junger Wiener Conférencier mit Brünnerisch gefärbter Sprachmelodie auch in der anderen europäischen Kabarettmetropole zum Star aufsteigen konnte. Rudolf Nelson, einer der größten Kabarettmacher der deutschen Metropole, war in Wien auf der Suche nach neuen Talenten für sein Kabarett Chat noir und fand sofort Gefallen an der speziellen Art Grünbaums. Die Wiener waren empört, dass ihnen ihr neuer Liebling nach so kurzer Zeit abhanden kam. Die Berliner wussten noch nicht, welch Talent sie nun in ihrer Stadt begrüßen durften – doch sie sollten es rasch erkennen. “[…] wenn er nicht redete, wirkte er wie ein bemitleidenswertes Geschöpf, ein Nichts, zwischen den Kulissen wie verloren. Aber – wenn er den Mund auftat – ein ’Feuerwerk des Gehirns’, wie Nelson meinte. Schießt pausenlos seine Witzraketen und Bonmots mit überdrehter Logik ins überraschte Parkett. Famose Begabung! Viel zu schade für Wien! Talentsucher Nelson ist begeistert. Grünbaum fast noch mehr, denn er möchte zu gern nach Berlin. Also wird der Kontrakt geschlossen. Das Chat Noir an der Friedrichstraße ist seine erste Berliner Station auf den Weg zum Spitzenconférencier des literarischen Kabaretts, zum Theater- und Filmschauspieler, zum erfolgreichen Autor von Operetten, Revuen, Singspielen, Chansons und Couplets.“ (7)
Es verwundert vielleicht, dass Fritz Grünbaum sowohl in Wien als auch in Berlin so außerordentlich erfolgreich war, konnte man doch den Humor dieser beiden Städte kaum miteinander vergleichen. Und doch schaffte er diesen Spagat: “Berlin lacht über den Witz, der auch dem Verstand entspringt. Wien über den Humor, der aus dem Herzen kommt. Und da ich diesen geistigen Witz und den herzlichen Humor mische, gefalle ich in Wien und Berlin.“, erklärte Grünbaum selbst.
1910 kehrte er nach Wien zurück, nach zwei weiteren Jahren auf der Bühne der Hölle wechselte er in das neu gegründete Bierkabarett Simplizissimus. Hier wie dort befand er sich immer in Gesellschaft der berühmtesten und angesehensten Persönlichkeiten dieser Branche wie Roda Roda, Egon Friedell, Ralph Benatzky und Robert Stolz. Von über 40 Operetten-Libretti bis zu den berühmten gereimten Monologen, über Doppelconferencen, Revuen und mehr als 100 Schlager reicht das umfassende Werk Fritz Grünbaums. Er verfasste Texte für Robert Stolz’ Operette Der Favorit mit dem wunderbaren Schlager “Du sollst der Kaiser meiner Seele sein“ genauso wie für die Kinderoperette Peter und Paul reisen ins Schlaraffenland von Franz Lehár. Schlager, die noch heute vielen Menschen ein Begriff sind wie “Ich hab das Fräul'n Helen' baden sehn“, stammen ebenfalls von Fritz Grünbaum. Doch sein wahres Talent entfaltete er in seinen gereimten Monologen und in den Doppelconférencen, hier konnte er seinen sprühenden Geist in Worte kleiden und das Publikum daran teilhaben lassen. In den Jahren 1905 bis 1915 gab er einen Teil dieser Texte in neun Heftchen “Verlogene Wahrheiten“ heraus, es folgten noch andere Publikationen wie “Liebe? - Mumpitz!“, “Vom seligen Zensor“ und noch viele andere.

Erster Weltkrieg
1914 brach der Erste Weltkrieg aus. Fritz Grünbaum wurde, wie so viele andere auch, von der ersten Kriegseuphorie mitgerissen und schrieb u. a. das Lustspiel “Sturmidyll“, das auch noch im selben Jahr uraufgeführt wird. Im Februar 1915 meldete er sich freiwillig zum Militärdienst. Seine militärische Karriere war typisch für die vieler Maturanten und Akademiker. Jüdische Soldaten galten als besonders patriotisch, standen sie doch abseits aller nationalen Bewegungen und waren besonders bestrebt, ihr Österreichertum zu beweisen – als Zugehörigkeitsgefühl zu einer Heimat, deren Übernationalität von der Habsburger-Monarchie repräsentiert wurde. Die besondere Wertschätzung des Kaisers für seine jüdischen Soldaten zeigte sich auch darin, dass sie im Offizierskorps zugelassen waren (8) – einzigartig in Europa!
Nach einer Ausbildungszeit reiste er am 29. März 1916 an die italienische Front nach Trient ab, wo er als Zugsführer an der Südtiroloffensive und im Juli an der 6. Isonzoschlacht beteiligt war. Während der Autor selbst an der Front kämpfte, waren die Grünbaum’schen Texte permanent auf den Wiener Bühnen zu erleben. Simpl, Apollo, Budapester Orpheum, Varietékabarett Gartenbau, Reichshallen, Ronacher – sie alle rissen sich um diese Aufführungen. Viele der Texte sind von den Kriegsgeschehnissen geprägt, offenbar war das Schreiben an der Front für Fritz Grünbaum eine wichtige Tätigkeit, wohl auch, um das Grauen und den Schrecken ein wenig verarbeiten zu können.
Desillusioniert von den schrecklichen Erlebnissen an der Front begann er, seine Eindrücke aufzuarbeiten. Es entstanden ernste, anklagende, pazifistisch geprägte Gedichte, die aus Zensurgründen erst nach Kriegsende publiziert wurden und so gar nicht in das Bild der humoristischen Texte passen, mit denen unser Autor populär geworden war.
20er Jahre
Fritz Grünbaum pendelte zwischen Wien und Berlin, sein Name und seine Person hatten nichts an Anziehungskraft verloren. 1921 kam es zu der Begegnung, die die weiteren Jahre entscheidend prägen sollte: Karl Farkas wurde Blitzdichter im Simplizissimus und bestand den ersten Test durch Grünbaum so bravourös, dass eine Zusammenarbeit die einzig logische Folge war. Die daraus resultierende berühmte Doppelconference wurde zu ihrem Markenzeichen.
Der sächsische Humorist Hans Reimann erinnert sich an einen Auftritt Grünbaums im Kabarett Pavillon: “Es war im Pavillon. Fritzl hielt einen Speech. Da ging das Licht aus. Kurzschluß. Jemand ließ das Flämmchen eines Feuerzeugs leuchten. Ein weiterer setzte seine Taschenlampe in Tätigkeit. Julschi Wiesner, der geschäftliche Direktor, verlangte (mit gedämpfter Stimme, weil’s so dunkel war) eine Kerze. Es war keine aufzutreiben. Fritzl hatte sich, wie gewohnt, an den Flügel gelehnt, die linke Hand in der Hosentasche, mit der rechten seinen humanistisch-juristisch gewürzten Vortrag unterstreichend. Jetzt schwieg er. Als sich der Gäste leichte Unruhe bemächtigte, sprach er tröstend in die Finsternis hinein: ’Es wird sich schon ä Goj finden, der das richtet.’ Und tatsächlich funktionierte die Beleuchtung bald wieder.“ (9)
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1924 kehrte Fritz wieder nach Berlin zurück, um im Kabarett der Komiker (Kadeko) zu conferieren. Dieses Kabarett war im selben Jahr von Kurt Robitschek(10) und Paul Morgan(11) gegründet worden. Robitschek hatte seine Karriere im Simpl begonnen und schrieb so wie Grünbaum Libretti und Schlagertexte unter anderem für Robert Stolz. 1924 wurde er als Conférencier ans Berliner Charlott-Kasino engagiert, mit Paul Morgan begründete er die Berliner Doppelconférence. Im selben Jahr wagten es die beiden Künstler, das heruntergewirtschaftete Etablissement Die Rakete zu übernehmen und eröffneten gemeinsam mit Max Hansen am 1. Dezember 1924 das Kabarett unter einem neuen Namen: Das Kabarett der Komiker, kurz Kadeko, war geboren als Versuch, das literarisch-politische Kabarett am Leben zu erhalten. Robitschek und Morgan versuchten dies, indem sie Elemente aus Varieté und Kleinkunst in ihre Programme einbauten und Stars engagierten. Grünbaum trat dort oftmals auf und war auch für die Hauszeitschrift Die Frechheit als Autor tätig.
Mit Paul Morgan verband Fritz Grünbaum eine langjährige Freundschaft: Morgan war während des Ersten Weltkriegs Grünbaums Nachfolger im Simpl gewesen, in Berlin trafen sie immer wieder zusammen und auch der Film verband diese beiden Künstler. 1934 veröffentlichte Morgan sein herrliches Buch Promin-Enten-Teich, in dem Fritz Grünbaum viel Platz gewidmet ist und dieser auch selbst zu Wort kommt: “[…] ich habe in zwanzig Jahren immer wieder herzlich gelacht, wenn ich Dich auf der Bühne sah oder in einer Zeitung eine Arbeit aus Deiner Feder las. Und gewöhnlich bin ich auch dabei nachdenklich geworden, ein untrüglicher Beweis für mich, daß Du ein wahrer Humorist bist, dessen melancholische Heiterkeit nicht nur aus den Verstande, sondern auch aus dem Herzen kommt.“(12)
Dies sind nun die Jahre der Ausstattungsrevue, die, aus Amerika importiert, durch eine lose Aneinanderreihung von Sketches, Ballett und Operettenmelodien geprägt ist. Doch entstehen auch zahlreiche Kabaretts, die jedoch zum Teil nur sehr kurze Zeit überleben - das reichhaltige und vielfältige Angebot bietet jedenfalls in Zeiten wirtschaftlicher Not Ablenkung und Amüsement.
Ein zeitgenössischer Reiseführer befand 1926 die Revue Wien lacht wieder! als durchaus repräsentativ für das Wiener Kulturleben: “Die Nacktheit kommt gegenwärtig nur auf der einzigen Wiener Revuebühne zu ihrem unbestrittenen Recht, auf der des Stadttheaters in der Skodagasse. Es gehört auch zum Marischka-Konzern, war lange ein Passivposten und ist erst heuer, unter der Leitung der zwei witzigsten Wiener Kabarettkomiker Fritz Grünbaum und Karl Farkas hochaktiv geworden, mit einer Revue ’Wien lacht wieder!’, zu der man sich gedrängt hat. Das Geheimnis des großen Erfolgs: Die richtige Mischung von Dekorations- und Kostümluxus, jungen Frauen, alten Witzen, Toilettenmangel und Busenüberfluß. Dazu noch Girls, Tänze, Schlager, alles, was der heutige Sinn begehrt. Dieses Theater hat auch den stärksten Fremdenverkehr, denn bei aller Hochachtung vor dem alten Burgtheater: die junge Busenkultur ist auch nicht zu verachten.“ (13)
Fritz Grünbaum reiste durch Europa, er trat in Leipzig, München, Frankfurt, aber auch in Prag, Karlsbad und Marienbad auf und feierte überall große Erfolge. Er wirkte in mehr als zehn Filmen mit, stand auf der Bühne des Deutschen Volkstheaters und der Kammerspiele in Wien und man vermeint, dass sein Erfolg durch nichts aufzuhalten war. Auch wurde er zu einem begeisterten Kunstsammler, der mit Wissen und Gespür seine Sammlung immer weiter vergrößerte und ausbaute.
Fritz Grünbaum setzte sich mit den politischen Geschehnissen immer stärker auseinander und schrieb ab 19. September 1925 als “Wochenchroniqueur“ für das Wiener Neue 8 Uhr-Blatt eine “Wochenchronik in Versen“. Weltpolitik, Alltagssorgen, Neuigkeiten und Skandale aus der Kunstwelt waren die Themen, die Grünbaum mit spitzer Feder Revue passieren ließ.
Am 20. April 1927, vier Tage vor den Wahlen zu Nationalrat, Gemeinde- und Bezirksrat, erschien am Titelblatt der Arbeiter-Zeitung der Aufruf “Eine Kundgebung für ein geistiges Wien. Ein Zeugnis für die große soziale und kulturelle Leistung der Wiener Gemeinde.“ Unter anderem heißt es darin: “Wesen des Geistes ist vor allem die Freiheit, die jetzt gefährdet ist, und die zu schützen wir uns verpflichtet fühlen. Das Ringen um eine höhere Menschlichkeit und der Kampf gegen Trägheit und Verödung wird uns immer bereit finden.“ Unterzeichner dieses Artikels waren Prominente aus vielen Bereichen, von der Medizin über die Nationalökonomie bis zur Kunst, wie Alfred Adler, Sigmund Freud, Josef Jarno, Hans Kelsen, Wilhelm Kienzl, Alma Mahler, Robert Musil, Alfred Polgar, Franz Salmhofer, Oskar Strnad, Anton Webern, Egon Wellesz, Franz Werfel und eben auch Fritz Grünbaum. Wohl war er nur einer unter vielen klingenden Namen, im Volksmund hieß dieser Aufruf jedoch “Fritz-Grünbaum-Aufruf“.
30er Jahre
Am 7. April 1930 feierte Fritz Grünbaum seinen 50. Geburtstag und schenkte sich selbst ein Büchlein: In “Grünbaum contra Grünbaum“ erhebt er in der Vorrede gegen sich selbst Anklage “wegen gröblicher Beleidigung des guten Geschmacks durch Verbreitung schlecht gemachter und schlecht gedachter eigener Gedichte.“ (14) Das “Gericht“ erkennt schließlich u. a.: “Der Antrag des Beklagten, daß der Kläger an ihm die Götz’sche Forderung erfülle, ist wegen technischer Undurchführbarkeit abzuweisen.“
In “Die Bühne“ erschien am 1. April 1930 ein Geburtstagsartikel (15): “Grünbaum war in Wien und Berlin, in allen Städten, wo es deutsche Kabaretts und deutsche Theater gibt, hat Humor und Lebensklugheit gepredigt, hat Operetten, Lustspiele, Revuen, Couplets und Schlagerlieder ohne Zahl geschrieben. Um nur seine bekanntesten Operetten zu nennen: ’Die Dollarprinzessin’, der ’Zigeunerprimas’, ’Liebeswalzer’, die ’Csikosbaroness’, ’Dorine und der Zufall’, ’Des Königs Nachbarin’. So steht er nun seit 25 Jahren auf dem Brettl und kämpft lachenden Auges gegen Ungeist, Dummheit und Verzopfung….“
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland am 30. Jänner 1933 waren Auftritte jüdischer Künstler in Deutschland nicht mehr möglich, viele Künstler flüchteten nach Wien, wo das politische Kabarett immer mehr an Bedeutung gewann. Die nationalsozialistische Hetze auf jüdische Künstler verstärkte sich immer mehr. Der Stürmer, das meistgelesene Blatt der Nationalsozialisten, “widmete“ Grünbaum im Juni 1934 einen ganzen Artikel, illustriert mit einer unkenntlichen Karikatur. Der Ausruf “Hütet Euch vor dem Gezeichneten!“ (16) krönte einen Hetzartikel in übelster nationalsozialistischer Diktion.
Noch wiegte man sich in Wien in Sicherheit - wie so viele andere meinte auch Fritz Grünbaum, “ich hab doch keinem Menschen was getan, warum sollte mir jemand etwas tun?“ Er schrieb und spielte weiter, das Publikum war ihm gewiss und verlangte nach immer neuen Werken. Das 25-jährige Bestandsjubiläum des Simpl wurde am 12. November 1934 selbstverständlich mit einer Revue der beiden Lieblinge begangen: Robinson Farkas auf der Grünbauminsel.
Am 29. Februar 1938 hatte die letzte Grünbaum-Farkas Revue Premiere, ihr war nur eine Laufzeit von knapp zwei Wochen beschieden: Metro Grünbaum – Farkas’ höhnende Wochenschau war der Schlusspunkt einer Karriere, die sich gerade am strahlenden Höhepunkt befand. Sie war der Schlusspunkt der Freiheit Österreichs und vieler Bürger dieses vermeintlich sicheren Landes. Und der Schlusspunkt der glänzenden Karriere des Fritz Grünbaum.

1938. Das Ende
Grünbaum hatte sich unbeirrt bis zuletzt politisch geäußert und nicht von der immer bedrohlicheren politischen Entwicklung einschüchtern lassen. Vielleicht eine grobe Fehleinschätzung der Lage, doch war er nicht der einzige politisch denkende Mensch, der sich dieses kommende Grauen des nationalsozialistischen Regimes nicht auszudenken vermochte.
Nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten in Österreich versuchte er gemeinsam mit seiner Frau Lilly in die Tschechoslowakei zu flüchten, was jedoch misslang. Fritz wurde zuerst im Gefängnis auf der Elisabethpromenade (heute Rossauerlände), dann in einem Behelfsgefängnis in einer Volksschule in der Karajangasse (20. Bezirk) inhaftiert. In der Karajangasse befindet sich heute ein Gedenkraum. Grünbaum war nicht auf Grund seiner “Rasse“, sondern wegen seiner “politischen Unzuverlässigkeit“ ein verhasster Feind der Nationalsozialisten. Dass er wie so viele andere Regimegegner “auch“ jüdisch war, war in dieser ersten Verhaftungswelle – noch – zweitrangig. Fritz Grünbaum hatte sich gemeinsam mit Karl Farkas in seinen Doppelconferencen unverblümt über die Entwicklungen in Deutschland lustig gemacht, so im Winter 1937/38 in Nordlicht, Nordlicht, aber sonst wenig Licht:
“Grünbaum: Du meinst das Nordlicht? Gott sei Dank, daß es nur einen Tag gedauert hat! Ein schrecklicher Gedanke, daß jetzt der Himmel auch schon aufgenordet würde!
[…]
Farkas: Also paß auf: Der Vorhang hebt sich, es ist stockdunkel, von der Bühne sieht man zunächst gar nichts.
Grünbaum: Aha! Du meinst die ’Deutsche Bühne’. Von der sieht man gar nichts, aber man hört viel von ihr –“ (17)
Auch der kolportierte legendäre Grünbaum-Satz während eines Stromausfalls – “ich sehe gar nichts, absolut nichts, da muß ich mich in die nationalsozialistische Kultur verirrt haben.“ (18) – steigerte den Hass der Nationalsozialisten.
Am 24. Mai 1938 wurde Fritz Grünbaum gemeinsam mit Hermann Leopoldi, Paul Morgan und Fritz Löhner-Beda ins Konzentrationslager Dachau, am 23. September 1938 weiter nach Buchenwald deportiert. Er trat den nationalsozialistischen Torturen mit seinen Mitteln entgegen: Er conferierte “zum Beispiel wie er das Tausendjährige Reich zu besiegen gedenkt oder daß der völlige Mangel und das systematische Hungern das beste Mittel gegen die Zuckerkrankheit sei.“ (19) Als ihm ein KZ-Aufseher ein Stück Seife verweigerte, kommentierte Grünbaum dies mit den Worten: “Wer für Seife kein Geld hat, soll sich kein KZ halten.“ (20)
Am 4. Oktober 1940 wurde Fritz Grünbaum wieder nach Dachau zurücktransportiert. Sein Gesundheitszustand war beängstigend schlecht, trotzdem trat er zu Silvester 1940 vor seinen Kameraden auf. Der deutsche Kabarettist Karl Schnog berichtet, Grünbaum sei als “der einstige prominente Conférencier“ angesagt worden, doch widersprach Grünbaum: “’Ich bitt’ euch, nicht der Fritz Grünbaum spricht zu euch, sondern nur eine Nummer … (und er nannte seine Lagernummer), die euch am letzten Tag des Jahres ein wenig Freude bereiten will.’ Es war wie ein Wunder: Der zermürbte kleine Mann lebte auf, wurde temperamentvoll und witzig wie einst und sprach, spielte, sprudelte Versscherzchen: ’Das Baby Grünbaum’ und ’Ich möcht’ ein Engerl sein!’ Dann erzählte er noch ein paar derbe Witze und – fiel wieder in sich zusammen.“ (21) Am 14. Jänner 1941 starb Fritz Grünbaum – “abgegangen an Herzlähmung“, wie der Totenschein weismachen will, doch entkräftet durch Tuberkulose, zermürbt von den Demütigungen und gebrochen von den Misshandlungen.
Lilly Grünbaum wurde in Wien aus einer Wohnung in die nächste vertrieben: Am 15. Juli 1938 musste sie die Wohnung in der Rechten Wienzeile 29 nach 12 glücklichen Jahren verlassen, die Kunstsammlung, die Bibliothek und viele unwiederbringliche Erinnerungen blieben zurück, wurden gestohlen und in die ganze Welt zerstreut. Lilly fand Unterschlupf bei ihrer Freundin Elsa Klauber im 19. Bezirk, Hofzeile 27. In dieser Wohnung waren Fritz und Lilly oft zu Gast gewesen, doch die Erinnerungen an fröhliche Stunden wurden nun überschattet von Hiobsbotschaften und zwecklosen Bemühungen, der Verfolgung zu entkommen. Lillys Odyssee führte über eine Wohnung im Kaasgraben 15 (19. Bezirk) in die Innenstadt. Dort wurde sie in so genannte “Sammelwohnungen“ gepfercht, zu in der Marc Aurelstraße 5/7, zuletzt in unmittelbarer Nachbarbarschaft des Gestapo-Hauptquartiers. Am 5. Oktober 1942 wurde Lilly Grünbaum gemeinsam mit ihre Freundin Elsa Klauber ins Konzentrationslager Maly Trostinec deportiert. Sie starb vier Tage später, am 9. Oktober 1942.
Die Autorin ist Historikerin und Autorin in Wien
 
 
Anlässlich des 125. Geburtstages von Fritz Grünbaum am 7. April 2005 sind zahlreiche Veranstaltungen geplant:
 
- Ausstellung von 17. Februar bis 8. Mai 2005 im Österreichischen Theater­museum ( www.theatermuseum.at) und im Herbst 2005 im Mährischen Landesmuseum Brünn; Kuratoren: Dr. Marie-Theres Arnbom und Mag. Christoph Wagner-Trenkwitz
- Das Buch zur Ausstellung erscheint im Verlag Christian Brandstätter.
- Grünbaum-Soiréen in der Volksoper Wien am 13. und 17. Februar 2005. Gestaltung und Präsentation: Christoph Wagner-Trenkwitz. Die Soirée am 13. Februar es ist eine Benefizveranstaltung zugunsten der Gesellschaft der Freunde der Universität Tel Aviv.
- Filmretrospektive des Filmarchiv Austria im Wiener Metro-Kino im März 2005 (http://www.filmarchiv.at)
 

Anmerkungen
1) Nationalien der Universität Wien, 1899 ff.
2) Victor Wittner, Zeitgenossen: Fritz Grünbaum, ca. 1930, zit. bei Pierre Genée, Fritz Grünbaum. Eine biographische Skizze. In: Marcus G. Patka und Alfred Stalzer (Hg.), Die Welt des Karl Farkas (Wien 2001), S. 55
3) Brief von Fritz Grünbaum an Arthur Schnitzler, 10. Februar 1903, Deutsches Literaturarchiv Marbach, Bestand A. Schnitzler HS.1985.1.3240, 1-5
4) Koautor Robert Bodanzky, Musik: Edmund Eysler
5) Martin Rathsprecher, Der Philosoph des Herzens. In: Der Abend, 7.4.1955, S. 6
6) Fritz Grünbaum an Robert Stricker. In: Die Neue Welt, 19.8.1932, S. 8
7) Helga Bemmann, Berliner Musenkinder-Memoiren. Eine heitere Chronik von 1900–1930 (Berlin 1987), S. 64 f.
8) István Deák, Der k. (u.) k. Offizier 1948–1918 (Wien 1991), S. 207 f.
9) Hans Reimann, Mein blaues Wunder. Lebensmosaik eines Humoristen (München 1959), S. 337; zit. bei Veigl 2001 (zit. Anm. 19), S. 43 f.
10) Geboren 1890 in Prag, gestorben 1950 in New York. 1933 musste Robitschek aus Deutschland flüchten und kehrte nach Wien zurück. 1938 floh er in die USA, wo er vergeblich versuchte, das Kadeko am Broadway neu zu gründen. Unter dem Namen Ken Robey fand er schließlich als Agent sein Auskommen. Näheres siehe Klaus Budzinski, Hermes Handlexikon. Das Kabarett (Düsseldorf 1985), S. 212 f.
11) Paul Morgan (eigentlich Georg Paul Morgenstern) wurde 1886 in Wien als Sohn eines Rechtsanwalts geboren. Schon früh zog es ihn zur Schauspielerei, er schuf sich außerdem ein zweites Standbein im Filmgeschäft, das ihn 1930 sogar nach Hollywood führte. In Wien und Berlin war Morgan als witziger und geistreicher Conférencier beliebt und bekannt, auch als Librettist machte er sich einen Namen (Axel vor der Himmelstür, Musik Ralph Benatzky, feierte 1936 im Wiener Theater an der Wien einen triumphalen Erfolg). 1938 wurde er nach Dachau und Buchenwald deportiert, wo er am 10. Dezember 1938 umkam.
12) Paul Morgan, Promin-Enten-Teich. Abenteuer und Erlebnisse mit Stars, Sternchen und allerlei Gelichter (Berlin–Leipzig–Wien 1934), S. 190
13) Ludwig Hirschfeld, Was nicht im Baedeker steht. Wien und Budapest (München 1927) S. 98
14) Fritz Grünbaum, Grünbaum contra Grünbaum (Wien 1930), S. 5
15) Die Bühne, 7. Jg., 1.4.1930, S. 52, gezeichnet mit R. K.
16) Der Stürmer, 2.6.1936
17) Zit. in Die Hölle im Himmel und andere Kleinkunst (Wien 1985), S. 248 ff.
18) Zit. bei Georg Markus, Karl Farkas (Wien 1983), S. 131
19) Ulrich Liebe, Verehrt – Verfolgt – Vergessen (Weinheim 1992), S. 121
20) Zit. nach Pierre Genée und Hans Veigl (Hg.), Fritz Grünbaum, Die Schöpfung und andere Kabarettstücke (Wien – München 1984), S. 228
21) Karl Schnog, Das Ende eines Spaßmachers. In: Helga Bemmann (Hg.), Mitgelacht – dabeigewesen. Erinnerungen aus sechs Jahrzehnten Kabarett (Berlin 1967), S. 316 f.

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