Nausner, Helmut MAGNIFIKAT

LK 1,46-55: BESINNUNG AM 25. MAI 2011 BEI DER ÖKUMENISCHEN MAIANDACHT IN WIEN-KAGRAN
 
46 Und Maria sprach: Meine Seele erhebt den Herrn,
47 und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes;
48 denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder.
49 Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist.
50 Und seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht bei denen, die ihn fürchten.
51 Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn.
52 Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen.
53 Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.
54 Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf,
55 wie er geredet hat zu unsern Vätern, Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit.

Unzählige Male ist dieses Gebet, das Magnifikat, gelesen und gebetet worden. Das tun wir auch heute gemeinsam. Auch das ganz Vertraute müssen wir immer wieder lesen. Jeder von uns liest Texte der Schrift in einer ganz bestimmten Auslegungstradition und so meinen wir genau zu wissen, was der Text bedeutet. Aber wenn wir immer wieder lesen, geduldig und erwartungsvoll, kann es geschehen, daß ein biblischer Text unmittelbar zu uns spricht und unser Herz berührt. Auf einmal hören wir altbekannte Worte neu. So ist es mir ergangen beim Lesen des Magnifikat. Ich teile einige Eindrücke mit ihnen.
Der Evangelist Lukas hat uns das Magnifikat als Gebet der jungen jüdischen Frau Maria aus Nazareth überliefert. Ihr Lobpreis ist eine Stimme unter anderen Stimmen, die alle auf Gottes Handeln zum Heil seines Volkes Israel und der Welt antworten. Das Magnifikat kann nicht richtig verstanden werden, wenn das Benediktus und das Nunc dimittis nicht mitgehört werden. Maria betet es als Antwort auf die freudige Begrüßung durch Elisabeth, ihre Verwandte. Elisabeth würdigt den Glaubensschritt der Maria und preist die Treue Gottes, der in Erfüllung gehen läßt, was Er zusagt. Und Maria antwortet mit einer Preisung Gottes. Zunächst dankt sie für das Große, das Gott an ihr getan hat: »Er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen.« Das Handeln Gottes an Maria wird im Lobpreis von einer Generationen zur anderen weitergetragen. Maria preist Gottes Barmherzigkeit den Glaubenden gegenüber und daß Er die Hochmütigen zerstreut, Mächtige vom Thron stürzt und Niedrige erhebt, Hungrige sättigt und Reiche leer ausgehen läßt und ihr Gebet findet ihren Höhepunkt in der Aussage: Gott nimmt sich seines Knechtes Israel an, wie er es Abraham und seinen Nachkommen versprochen hat.
 
"GELOBT SEI DER HERR, DER GOTT ISRAELS!"
Diesen Ton nimmt Zacharias in seinem Lobpreis auf. »Gelobt sei der Herr, der Gott Israels! Denn er hat besucht und erlöst sein Volk…« Er hat es von seinen Feinden errettet und hat an seinen Bund gedacht und sein Versprechen an Abraham, damit wir »erlöst aus der Hand unserer Feinde, ihm dienten ohne Furcht unser Leben lang in Heiligkeit und Gerechtigkeit, die ihm gefällig ist«. Der Sohn Johannes wird dem Herrn den Weg bereiten und Erkenntnis des Heils vermitteln.
Und der alte Simeon lobt und spricht prophetisch beim Anblick des Jesuskindes: »Meine Augen haben das Heil gesehen, das du bereitet hast vor allen Völkern, ein Licht zu erleuchten die Heiden und zum Preis deines Volkes Israel«.
Das Erstaunliche in der damaligen Welt: Eine junge Frau stimmt den Lobgesang an, in den  ältere und alte Männer einstimmen. Maria: Gott hilft seinem Knecht Israel auf; Zacharias: Gott besucht sein Volk und rettet es aus der Hand seiner Feinde; Simeon: Gott zeigt sein Heil vor allen Völkern und zum Preis seines Volkes Israel. Niemand soll vom Heil Gottes ausgeschlossen bleiben.
 
DASS WIR CHRISTEN IN UNSERER ZEIT GEMEINSAM MIT ISRAEL, DEM VOLK GOTTES, LOBENDE WERDEN
Das Kommen Jesu, eines jüdischen Knaben, löst ein neues Preisen Gottes aus, das in Israel beginnt und die ganze Welt erfassen soll. Hier hat es in der langen Geschichte von Juden und Christen viele Dissonanzen gegeben. Wäre es möglich, dass wir Christen in unserer Zeit gemeinsam mit Israel, dem Volk Gottes, Lobende werden, weil wir gemeinsam Gottes Heil sehen und gemeinsam mit Elisabeth, Maria, Zacharias, Simeon, Hannah und der unzähligen Schar glaubender Juden und Christen durch die Zeiten singen: Meine Seele erhebt den Herrn und mein Geist freuet sich Gottes meines Heilandes? Wäre das zu schwierig? Bei Gott ist kein Ding unmöglich.

Helmut Nausner ist ehemaliger Superintendent der Evangelisch-methodistischen Kirche in Österreich und Vizepräsident der Koordinieurngsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit.

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