Himmelbauer, Markus DAMIT MÜSSEN WIR LEBEN. – WIRKLICH?
22/02/02 Praxis
Judenfeindschaft gibt es nicht. Fragen Sie doch herum! Nicht einmal Herr Haider hat je etwas Antisemitisches geäußert, beteuert er. Die “ordentliche Beschäftigungspolitik“ hatte ja mit Juden rein gar nichts zu tun. (Wir danken der “Presse“ für die nochmalige Veröffentlichung des Protokolls der damaligen Landtagssitzung. Es zeigt, dass es kein “aus dem Zusammenhang gerissenes“ Zitat ist.) Das macht unsere Aufgabe, die christlich-jüdische Verständigung, so einfach. Auch in den Kirchen. Sehen Sie selbst: Judenfeindliche Hetzpredigten von der Kanzel gibt es nicht mehr, und überhaupt, das Judentum ist gar kein Thema.
Haben Sie schon einmal im Zug mit Ihrem Gegenüber, mit Bekannten oder mit Mitgliedern Ihrer Gemeinde gesprochen, warum Ihnen der christlich-jüdische Dialog wichtig ist, warum Sie sich darin engagieren? Das geht ganz einfach, oder? Denn schließlich hat ja niemand etwas gegen Juden.
Wahrscheinlich ergeht es in solchen Situationen immer nur mir so, dass ein Redeschwall losbricht, etwa folgenden Inhalts:
“Nun ja, also das mit den Forderungen, das könnte auch endlich einmal aufhören. Irgendwann muss ja endlich Schluss sein. Jetzt ist der Krieg schon so lange vorbei und schließlich hat ja heute niemand mehr persönlich Schuld, und eine Kollektivschuld gibt es nicht. Die haben es sich doch schnell eingerichtet und nach dem Krieg bald alles wieder gekriegt. Überhaupt soll man sich Israel anschaun, wie es dort zugeht. Wenn man objektiv ist, zeigt sich ja doch, dass gewisse Kreise an der Ostküste überall die Finger im Spiel haben. Und woher kommt das Geld, mit dem unsere Wirtschaft ins Ausland verkauft wird?...“
Ich unterbreche hier und gestehe gerne meine Hilflosigkeit ein, in solchen Situationen angemessen zu antworten.
Ah! Es kommt Ihnen doch auch bekannt vor? Verhetzung wird heute nicht mehr in Gottesdiensten betrieben, und dass man normalerweise darüber nicht spricht, macht die Sache nicht leichter.
Solange Jüdisches oder das Judentum nicht thematisiert werden, herrscht Ruhe. Kommt es jedoch zur Sprache, wachsen Emotionen, dann kocht die Volksseele. Kein Wunder, wenn da manche Betroffene selbst meinen, jüdisches Selbstbewusstsein wäre fehl am Platz, nur nicht auffallen. Wir wissen ja, wie es bei uns läuft: Arme sind Schuld an der Sozialschmarotzer-Debatte, Migrantinnen und Migranten verursachen Fremdenhaß und Juden sind die Ursache des Antisemitismus.
Ein Ziel des christlich-jüdischen Dialogs ist, dass wir in unseren Kirchen uns selbstverständlich an unsere jüdische Wurzel erinnern und unsere Verbundenheit mit Gottes Bundesvolk dankbar feiern. Noch aber sind wir nicht so weit. Noch gehört Judenfeindschaft zum kulturellen Grundmuster, das überall tief in unserer Gesellschaft - und deswegen wohl auch in mir - steckt. Mit dieser Normalität müssen wir leben. Wirklich?