Zum Tag des Judentums 2024 von Bischof Manfred Scheuer
12/02/24 Tag des Judentums
Am 17. Jänner feiern alle Kirchen in Österreich den „Tag des Judentums“. Heuer steht dieser christliche Lehr- und Lerntag zum 25. Mal im liturgischen Kalender. Das ist eine Zeitspanne, die zur dankbaren Rückschau einlädt: Was ist in dieser Zeit gewachsen? Und auf den Weg in der Zukunft blicken lässt: Was sind die Aufgaben der Kirchen weiterhin?
1997, bei der Zweiten Europäischen Ökumenischen Versammlung in Graz, hat die ökumenische Gruppe „teshuvà“ aus Mailand den 17. Jänner als „Tag des Judentums“ vorgestellt, wie er bereits in den Kirchen Italiens gefeiert wurde. Alfred Raddatz als Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit und Markus Himmelbauer als dessen Geschäftsführer haben diese Initiative dann in den Ökumenischen Rat der Kirchen in Österreich getragen. Unter dem Vorsitz von Metropolit Michael Staikos feierten am 17. Jänner 2000 erstmals die Kirchen am „Tag des Judentums“ vor der „Weltgebetswoche für die Einheit der Christen“ das Judentum als Quelle und Wurzel ihres Glaubens.
Mein Vorgänger im Bischofsamt, Maximilian Aichern, erkannte von Anfang an die Bedeutung dieses neuen Lehr- und Lerntags für die Kirchen. Heute sagt er dazu: „Ich erinnere mich sehr gerne an die Begegnungen und Gespräche mit den jüdischen Gemeinden, sei es in Linz, aber auch bei den Besuchen in Israel oder in Ungarn und Rumänien. Diese Begegnungen gerade am Tag des Judentums helfen uns auf die Wurzeln zu schauen, aus denen wir leben. Die Wurzel des Christentums liegt im Judentum.“
Mit Dank stelle ich fest, dass die Medien der Kirchen und in deren Umfeld von Anfang an dieses Anliegen aktiv aufgegriffen haben und jährlich zum 17. Jänner unterschiedliche Aspekte des Themas präsentieren. Mit Dankbarkeit nehme ich wahr, dass es allen Diözesen schon zur guten Tradition geworden ist, in Gottesdiensten, Vorträgen und Exkursionen am Tag des Judentums darzustellen, dass es hier um eine entscheidende Dimension des Christseins geht.
Die zumeist kirchenübergreifende Trägerschaft dieser Veranstaltungen ist ein starkes Lebenszeichen der Ökumene. 2015, zum 50-Jahr Jubiläum der Konzilserklärung Nostra Aetate, das den Beziehungen zwischen der Kirche und dem Judentum einen neuen Anfang setzte, hat jede theologische wissenschaftliche Einrichtung in Österreich zum Tag des Judentums eine Veranstaltung durchgeführt.
In der ersten Zeit stand mit dem Zitat aus dem Römerbrief des Apostels Paulus der Blick auf das Judentum als Wurzel des christlichen Glaubens im Zentrum: „Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich.“ (Röm 11,18) Doch mit den Jahren wurde klar, dass die Beschäftigung mit dem Judentum in den Kirchen nicht nur ein historischer Akt ist – als Blick auf die Wurzel ein Blick zurück –, um das Jude-Sein Jesu, seiner Mutter Maria, der Jüngerinnen und Jünger sowie der Verfasser der biblischen Schriften im religiösen Umfeld ihrer Epoche zu deuten und wertschätzend in die Theologie zu integrieren. Um im Bild des Paulus zu bleiben: Der gute Ölbaum, in den die Messiasgläubigen als neue Zweige eingepfropft worden sind, besteht ja immer noch. Er hat „jüdische Äste“ rund um uns herum, Äste die bis heute reiche Frucht tragen.
So wurde der „17. Jänner-Tag des Judentums“ auch zu einem Tag der Begegnung mit den jüdischen Gemeinden. Ich bin dankbar, dass die jüdischen Gemeinden diesen Weg der Kirchen wohlwollend annehmen und unsere Lernbereitschaft begleiten. Unsere Aufgabe als Kirchen ist, jüdisches Leben so zu erfassen, wie es sich selbst versteht: Der entschiedene Monotheismus, das Geschenk der Tora und die Verbundenheit mit dem Land Israel sind Kernpunkte jüdischen Selbstverständnisses, deren Tiefe wir Christinnen und Christen noch lange nicht als Herausforderung ausgelotet haben.
Wir dürfen uns dabei nicht einem biblischen Fundamentalismus hingeben, der meint, das heutige Judentum allein anhand der biblischen Offenbarung des Tanach, des Ersten Testaments erklären zu wollen. Die Traditionen des Talmuds und die engagierte Diskussion der mündlichen Tora bis in heutige Tage gehören zu einer vollständigen Wahrnehmung dazu. Diese wertschätzende Begegnung und Weggemeinschaft mit den jüdischen Gemeinden in unserer Zeit ist einer der Schlüssel für die erneuerte Selbstwahrnehmung von uns Christinnen und Christen. Jesus ist ohne sein Jude-Sein nicht zu verstehen und auch der Glauben jeder Christin und jedes Christen heute findet im Judentum seinen Bezugspunkt und seine Quelle.
Auf diesem Weg der Erneuerung aus dem christlich-jüdischen Dialog möchte ich allen, die im Unterricht und in der Verkündigung ihren Dienst tun, in einigen Stichworten die Kernthemen zusammenfassend in Erinnerung rufen. Jesus war gläubiger Jude, der fest in den Traditionen seines Volkes und seiner Religion stand. Die Heilige Schrift Jesu, der Tanach, unser christliches Erstes Testament, ist dieselbe Heilige Schrift des Judentums. Jeder Psalm, den wir sprechen, ist ein Lied des Judentums. Das christliche Neue Testament – die Evangelien, die Briefliteratur – ist eine Sammlung von Schriften jüdischer Autoren. Es gilt, der kirchlichen Judenfeindschaft in der Geschichte demütig zu erinnern, ihr zu entsagen, den Opfern der Schoa zu gedenken und in Solidarität jüdisches Leben zu fördern und jeglicher Judenfeindschaft entgegenzutreten. Die Verkündigung der Frohbotschaft möge im Geist der wertschätzenden Verbindung mit dem Judentum geschehen, dessen liebenden Vater im Himmel Juden wie Christen gemeinsam, doch je in ihrer Tradition, verehren. Zu vermeiden sind jedenfalls alle Aussagen, die das Judentum als unvollkommen, defizitär, gewalttätig oder nur als Vorläufer des Christentums darstellen. Hilfreich könnten dazu die Materialien des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks sein, die Woche für Woche de Sonntagslesungen „mit Israel gelesen“ reflektieren (https://wp.bibelwerk.ch/sonntagslesungen/) Nicht nur am Karfreitag, zu allen Festtagen des Judentums im Jahreskreis, ist es angebracht, eine Fürbitte für das Wohlergehen der jüdischen Gemeinden zu sprechen. Und immer ist es angemessen, dem Ewigen für das Geschenk seiner Offenbarung gegenüber dem jüdischen Volk für alle Völker der Erde zu danken.
Der Tag des Judentums ist für Christen verbunden mit dem Eingedenken in die Verstrickung in Schuldzusammenhänge des Antisemitismus. Die Jahrhunderte lang tradierten antijüdischen Stereotypen in der christlichen Theologie, v. a. die Anklage des Gottesmordes trugen zum Gefühl der Selbstgerechtigkeit der Christen bei, trugen bei den Christen zu einer Mentalität bei, die sich vor der notwendigen Solidarität mit den ausgegrenzten und nach und nach auch dem Tod preisgegebenen Opfern des nationalsozialistischen Regimes drückte. Das Bewusstsein der Glaubenssolidarität der Christen mit den Juden war nicht oder viel zu wenig vorhanden. Und es gab zu wenig, viel zu wenig Gerechte. Politische Naivität, Angst, eine fehlgeleitete Theologie, die über Jahrhunderte hinweg die Verachtung des jüdischen Volkes gelehrt hatte, und mangelnde Liebe hatten viele Christen damals veranlasst, gegenüber dem Unrecht und der Gewalt zu schweigen, die jüdischen Menschen angetan wurden. Christen bekennen mit dem jüdischen Volk den Gott Israels. Sie erkennen heute, dass mit der Zerstörung der Synagogen, dass mit der Shoah der Name des Ewigen geschändet wurde, ohne dass viele der christlichen Vorfahren im Glauben dies gespürt hätten. So tragen Christen ihre Ehrfurcht vor den Opfern, ihren Schmerz über das bis dahin unausdenkbare Leid, das dem jüdischen Volk angetan wurde, ihre Klage und ihre Hoffnung, dass nicht die Täter, sondern die Opfer und deren Würde das letzte Wort in der Geschichte haben, vor Gott den Richter menschlicher Geschichte vor.
Ich verweise auf den Gottesdienstvorschlag des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich und Fürbitten verweisen:
Mein Vorgänger im Bischofsamt, Maximilian Aichern, erkannte von Anfang an die Bedeutung dieses neuen Lehr- und Lerntags für die Kirchen. Heute sagt er dazu: „Ich erinnere mich sehr gerne an die Begegnungen und Gespräche mit den jüdischen Gemeinden, sei es in Linz, aber auch bei den Besuchen in Israel oder in Ungarn und Rumänien. Diese Begegnungen gerade am Tag des Judentums helfen uns auf die Wurzeln zu schauen, aus denen wir leben. Die Wurzel des Christentums liegt im Judentum.“
Mit Dank stelle ich fest, dass die Medien der Kirchen und in deren Umfeld von Anfang an dieses Anliegen aktiv aufgegriffen haben und jährlich zum 17. Jänner unterschiedliche Aspekte des Themas präsentieren. Mit Dankbarkeit nehme ich wahr, dass es allen Diözesen schon zur guten Tradition geworden ist, in Gottesdiensten, Vorträgen und Exkursionen am Tag des Judentums darzustellen, dass es hier um eine entscheidende Dimension des Christseins geht.
Die zumeist kirchenübergreifende Trägerschaft dieser Veranstaltungen ist ein starkes Lebenszeichen der Ökumene. 2015, zum 50-Jahr Jubiläum der Konzilserklärung Nostra Aetate, das den Beziehungen zwischen der Kirche und dem Judentum einen neuen Anfang setzte, hat jede theologische wissenschaftliche Einrichtung in Österreich zum Tag des Judentums eine Veranstaltung durchgeführt.
In der ersten Zeit stand mit dem Zitat aus dem Römerbrief des Apostels Paulus der Blick auf das Judentum als Wurzel des christlichen Glaubens im Zentrum: „Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich.“ (Röm 11,18) Doch mit den Jahren wurde klar, dass die Beschäftigung mit dem Judentum in den Kirchen nicht nur ein historischer Akt ist – als Blick auf die Wurzel ein Blick zurück –, um das Jude-Sein Jesu, seiner Mutter Maria, der Jüngerinnen und Jünger sowie der Verfasser der biblischen Schriften im religiösen Umfeld ihrer Epoche zu deuten und wertschätzend in die Theologie zu integrieren. Um im Bild des Paulus zu bleiben: Der gute Ölbaum, in den die Messiasgläubigen als neue Zweige eingepfropft worden sind, besteht ja immer noch. Er hat „jüdische Äste“ rund um uns herum, Äste die bis heute reiche Frucht tragen.
So wurde der „17. Jänner-Tag des Judentums“ auch zu einem Tag der Begegnung mit den jüdischen Gemeinden. Ich bin dankbar, dass die jüdischen Gemeinden diesen Weg der Kirchen wohlwollend annehmen und unsere Lernbereitschaft begleiten. Unsere Aufgabe als Kirchen ist, jüdisches Leben so zu erfassen, wie es sich selbst versteht: Der entschiedene Monotheismus, das Geschenk der Tora und die Verbundenheit mit dem Land Israel sind Kernpunkte jüdischen Selbstverständnisses, deren Tiefe wir Christinnen und Christen noch lange nicht als Herausforderung ausgelotet haben.
Wir dürfen uns dabei nicht einem biblischen Fundamentalismus hingeben, der meint, das heutige Judentum allein anhand der biblischen Offenbarung des Tanach, des Ersten Testaments erklären zu wollen. Die Traditionen des Talmuds und die engagierte Diskussion der mündlichen Tora bis in heutige Tage gehören zu einer vollständigen Wahrnehmung dazu. Diese wertschätzende Begegnung und Weggemeinschaft mit den jüdischen Gemeinden in unserer Zeit ist einer der Schlüssel für die erneuerte Selbstwahrnehmung von uns Christinnen und Christen. Jesus ist ohne sein Jude-Sein nicht zu verstehen und auch der Glauben jeder Christin und jedes Christen heute findet im Judentum seinen Bezugspunkt und seine Quelle.
Auf diesem Weg der Erneuerung aus dem christlich-jüdischen Dialog möchte ich allen, die im Unterricht und in der Verkündigung ihren Dienst tun, in einigen Stichworten die Kernthemen zusammenfassend in Erinnerung rufen. Jesus war gläubiger Jude, der fest in den Traditionen seines Volkes und seiner Religion stand. Die Heilige Schrift Jesu, der Tanach, unser christliches Erstes Testament, ist dieselbe Heilige Schrift des Judentums. Jeder Psalm, den wir sprechen, ist ein Lied des Judentums. Das christliche Neue Testament – die Evangelien, die Briefliteratur – ist eine Sammlung von Schriften jüdischer Autoren. Es gilt, der kirchlichen Judenfeindschaft in der Geschichte demütig zu erinnern, ihr zu entsagen, den Opfern der Schoa zu gedenken und in Solidarität jüdisches Leben zu fördern und jeglicher Judenfeindschaft entgegenzutreten. Die Verkündigung der Frohbotschaft möge im Geist der wertschätzenden Verbindung mit dem Judentum geschehen, dessen liebenden Vater im Himmel Juden wie Christen gemeinsam, doch je in ihrer Tradition, verehren. Zu vermeiden sind jedenfalls alle Aussagen, die das Judentum als unvollkommen, defizitär, gewalttätig oder nur als Vorläufer des Christentums darstellen. Hilfreich könnten dazu die Materialien des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks sein, die Woche für Woche de Sonntagslesungen „mit Israel gelesen“ reflektieren (https://wp.bibelwerk.ch/sonntagslesungen/) Nicht nur am Karfreitag, zu allen Festtagen des Judentums im Jahreskreis, ist es angebracht, eine Fürbitte für das Wohlergehen der jüdischen Gemeinden zu sprechen. Und immer ist es angemessen, dem Ewigen für das Geschenk seiner Offenbarung gegenüber dem jüdischen Volk für alle Völker der Erde zu danken.
Der Tag des Judentums ist für Christen verbunden mit dem Eingedenken in die Verstrickung in Schuldzusammenhänge des Antisemitismus. Die Jahrhunderte lang tradierten antijüdischen Stereotypen in der christlichen Theologie, v. a. die Anklage des Gottesmordes trugen zum Gefühl der Selbstgerechtigkeit der Christen bei, trugen bei den Christen zu einer Mentalität bei, die sich vor der notwendigen Solidarität mit den ausgegrenzten und nach und nach auch dem Tod preisgegebenen Opfern des nationalsozialistischen Regimes drückte. Das Bewusstsein der Glaubenssolidarität der Christen mit den Juden war nicht oder viel zu wenig vorhanden. Und es gab zu wenig, viel zu wenig Gerechte. Politische Naivität, Angst, eine fehlgeleitete Theologie, die über Jahrhunderte hinweg die Verachtung des jüdischen Volkes gelehrt hatte, und mangelnde Liebe hatten viele Christen damals veranlasst, gegenüber dem Unrecht und der Gewalt zu schweigen, die jüdischen Menschen angetan wurden. Christen bekennen mit dem jüdischen Volk den Gott Israels. Sie erkennen heute, dass mit der Zerstörung der Synagogen, dass mit der Shoah der Name des Ewigen geschändet wurde, ohne dass viele der christlichen Vorfahren im Glauben dies gespürt hätten. So tragen Christen ihre Ehrfurcht vor den Opfern, ihren Schmerz über das bis dahin unausdenkbare Leid, das dem jüdischen Volk angetan wurde, ihre Klage und ihre Hoffnung, dass nicht die Täter, sondern die Opfer und deren Würde das letzte Wort in der Geschichte haben, vor Gott den Richter menschlicher Geschichte vor.
Ich verweise auf den Gottesdienstvorschlag des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich und Fürbitten verweisen: