GEDENKSTUNDE IN HIETZING

Wien. Seit drei Jahren begehen die in der Ökumene-Arbeit vernetzten Wiener Dekanate 13-19 den „Tag des Judentums" auf besondere Weise: Sie wollen sich an diesem Tag bei der Besinnung der gemeinsamen Wurzel von Christentum und Judentum auch jüdische Menschen beziehen: nicht nur über sie sprechen, sondern mit ihnen eine gemeinsame Begegnung und Besinnung gestalten, Beziehung und Vertrauen aufbauen. Diese Begegnungen finden jeweils am Ort einer ehemaligen Wiener Synagoge statt, wo auch das Schuldbekenntnis von Christen gegenüber Juden angesichts der Zerstörungen von 1938 viel sinnenfälliger ist.
Nach den Gedenk- und Bedenkveranstaltungen 2014 und 2015 bei der Währinger und Döblinger Synagoge wurde am 18. Jänner 2016 zur Erinnerung an die ehemalige Hietzinger Synagoge ins „Hietzinger Rathaus" eingeladen. Die Gestaltung des Programms hatte Kristin Hübner vom Ökumenekreis Wien 13 zusammen mit der Volkshochschule Hietzing, dem Don Bosco-Haus und mit Unterstützung der Bezirksvorstehung übernommen. Trotz eisiger Kälte waren ca. 100 Personen in den Festsaal des „Hietzinger Rathauses" gekommen.

Kristin Hübner leitete den Gedenkabend mit sehr persönlichen Worten ein und übergab dann das Wort an Pastor Prof. Helmut Nausner von der Methodistenkirche, Vizepräsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Er gab eine Einführung in die Entstehung des „Tags des Judentums" an der Jahrtausendwende 1999/2000 mit dem damaligen Bekenntnis zur Versöhnung, zur Verwerfung von jeglichem Antijudaismus in den christlichen Kirchen und dem Bekenntnis zur Schuld auch der Christen an Verachtung, Verfolgung und Ermordung der Juden.
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VIELFALT JÜDISCHEN LEBENS
Dann schilderte der bekannte Synagogenforscher Dr. Pierre Genée an Hand von computergestützten Rekonstruktionen den beeindruckenden Bau der einstigen Hietzinger Synagoge – ein virtueller Rundgang durch das Bauwerk ermöglichte das Innen-Erleben der beachtlichen Architektur aus den unterschiedlichsten Perspektiven.
Berührend war der Bericht des Direktors der Hietzinger Volkshochschule, Dr. Robert Streibel, über seine Forschungsergebnisse zum jüdischen Leben in Hietzing vor dem Weltkrieg: von den Prachtvillen der jüdischen Bildungsbürger aus Mittel- und Oberschicht bis zu den Siedlungshäusern der kleinen Leuten im Bereich des Lainzer Versorgungshauses – welche Vielfalt von Kulturträgern, akademischen und Handwerksberufen, welche Schicksale! Streibel hatte als Überraschung auch eine 91-jährige Zeitzeugin mitgebracht, die ihre „Anschluss-Erlebnisse" als 13-jähriges Schulkind schilderte ...
GEBET FÜR DIE TOTEN
Bewegt von diesen Berichten erschütterte das Gebet für die Toten „Male Rachamim" alle Anwesenden, hebräisch gesungen, danach deutsch gelesen von MMag. Thomas Gross als Vertreter der Israelitischen Kultusgemeinde. Ihm folgte – von Pastor Nausner stellvertretend für alle gesprochen - ein christliches Schuldbekenntnis, das Papst Johannes XXIII zugeschrieben wird. Daran schlossen sich Texte aus dem gemeinsamen jüdisch-christlichen Schrifttum: eine Lesung aus dem Ersten Testament (Deuteronomium) und ein im Wechsel von den VertreterInnen der ökumenisch-vernetzten Dekanate gesprochener Psalm, als Überleitung zu Fürbittgebeten..
GEMEINSAM GEGEN ANTISEMITISMUS
MMag. Gross berichtete schließlich über „Jüdisches Leben heute in Wien": Er dankte mit bewegten Worten besonders Pastor Nausner für seine Einführung und das Schuldbekenntnis und schilderte dann die Sorge jüdischer Menschen in Wien heute, wegen offenem Bekenntnis zu ihrem Glauben wieder angefeindet zu werden, zumal unter dem Einfluss des Judenhasses islamistischer Migranten. Er plädierte zu Herzen gehend für eine Solidarität von Christen und Juden gegen jede Front antisemitischer Extremisten im Geiste versöhnter Verschiedenheit, wie er auch das Anliegen in der ökumenischen Annäherung unter den christlichen Kirchen ist.
Dieses Plädoyer schloss ein Schalom-Wunsch des Wiener Jüdischen Knabenchors ab.
Bei der Agape mit Brot und Wein wurden noch lange Gespräche geführt. 2017 wird die Staffette an das Dekanat 15 übergeben: Dort wird der „Turner-Synagoge" (Turnergasse, nächst Mariahilferstraße), eines der prachtvollsten Vorkriegsbauten, gedacht werden. Kristin Hübner gebührt der Dank für einen mit großem persönlichem Einsatz gestalteten Abend: ein Markstein auf dem Weg der christlich-jüdischen Zusammenarbeit.
Elisabeth Lutter

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